Die Kurzsichtigkeit – physisch und geistig genommen – hat den Notizler der „Landzeitung“ in Krems in der Nummer vom 9. d.M. einen bösen Streich gespielt. Der Skribler weiß zu erzählen, daß sich in der Pfarrkirche Kirchberg am Wagram letzthin etwas sonderbares abgespielt hat. Was mag denn das nur gewesen sein, daß es sich verlohnte, die Erinnerung daran durch eine Zeitungsnotiz festzuhalten: Ist in der Kirche gerauft oder getanzt worden? Nein, nein, „die Gläubigen warten auf die hl. Messe, auf dem Chore spielt die Orgel, aber es kommt ewig kein Herr Pfarrer aus der Sakristei zum Vorschein.“ Also darin, daß die Orgel und nicht der Organist spielt, daß der Pfarrer ewig nicht zum Vorschein kommt und daß die ältesten Kirchenbesucher dazu die Köpfe geschüttelt haben sollen, liegt das Sonderbare. Es ist nur schade, daß der Notizler der Landzeitung damit nicht auf seine Rechnung kam, indem ihm dabei das Malheur passierte, den Pfarrer mit dem Kooperator zu verwechseln. Der Pfarrer hatte nämlich die erste hl. Messe gelesen und war nach Beendigung derselben vom Altare weg in die Sakristei gegangen. Er konnte darum freilich erst wieder am nächsten Tage, pünktlich auf die Minute wie immer, aus der Sakristei zum Vorscheine kommen, um abermals die hl. Messe zu lesen. Der Kooperator, der die zweit hl. Messe zu lesen hatte ist – weil verhindert – um zirka drei Minuten später als sonst aus der Sakristei zum Vorschein gekommen, was dem Skribler der Landzeitung wie eine Ewigkeit erschienen sein muß. Dies der wahre Sachverhalt. Wie peinlich genau die Zeit der Abhaltung des Gottesdienstes in der Pfarrkirche Kirchberg am Wagram eingehalten wird, beweisen wohl mehr als lange Artikel die paar Minuten, die den Anlaß zu der Notiz in der Landzeitung gaben und dem verehrlichen Lesepublikum dieses Blattes als etwas Sonderbares hingestellt wurden.
Quelle: Kremser Zeitung vom 16.2.1907
November 2020
Maria Knapp