Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at
Über einen (angeblichen?) Brauch in der Kirchberger Gegend aus der Gemeinde-Zeitung: unabhängiges politische Journal vom 26.2.1870, veröffentlicht in ANNO. 


Das „Schlankelland“ in Niederösterreich.
Aus Kirchberg am Wagram schreibt uns ein Reisender: In nicht gar weiter Entfernung von hier mehr landeinwärts, liegt ein Strich fruchtbarer Weingegend, den man nicht mitr Unrecht das Schlankelland nennen könnte. Weingeschäfte führen mich alljährlich in diesen Winkel der Erde, wo zwei Ortschaften, nur durch einen Berg getrennt, sich ausbreiten. Bei meinem neulichen Besuche ist mir daselbst etwas aufgefallen, was ich früher nie bemerkt hatte. Ueberall nämlich sah man junge Mädchen ab- und zugehen, welche nach ihrer Kleidung und den wohlgepflegten Haaren zu schließen, Feiertag hielten. Auf die Frage, was diese wandelnden Gestalten zu bedeuten hätten, antwortete mir mein Begleiter: Sie schlankeln“ Bevor ich mir aber nähere Erklärung dieses sonderbaren Ausdruckes erbitten konnte, tönte mir der Morgengruß eines alten Bekannten entgegen, in dessen Haus wir uns treffen wollten. Während nun vom Hausherrn die Vorbereitung zur Kellerreise getroffen wurde, steckte ich den Kopf in die Küche, von wo mir aber die Hausfrau abwehrend entgegenrief: „Erschrecken Sie nicht; es sind die Schlankeltage!“ Ich kam in ein zweites, in ein drittes, ich kam in mehrere Häuser, überall fand ich die Hausfrau von Arbeit überbürdet, überall vernahm ich das verhängnißvolle: Es sind die Schlankeltage! Aber erst als wir den Berg herabstiegen, wurde das Dunkel dieser Sache gelichtet. Was also? Die Schlankeltage sind die Tage der ganzen Faschingszeit, an welchen die weiblichen Dienstboten, wenn sie Früh und Mittags die gröbere Arbeit obenhin verrichtet haben, das Haus verlassen, Besuche machen, für sich stricken, nähen, spinnen, oder auf andere Weise ihre Zeit hinbringen, kurz ihre eigenen Frauen spielen. – „Und die Hausarbeit?“ – Kann liegen bleiben! „Und Kost und Lohn?“ – Geht fort! - Wenn aber der Fasching viele Wochen dauert?“ – Was wollen sie thun? „Weiß denn die Gemeindevertretung diesem Unfug kein Ziel zu setzen? – Mein Begleiter antwortete mit einem Achselzucken. Ich aber verließ das Schlankelland mit trüben Gedanken und dachte: „Wie, wenn die Dienstboten des Schlankellandes ähnlich den Wiener Arbeitern erhöhte Forderung stellten und statt der Schlankeltage, Schlankelmonate und Schlankeljahre bewilligt haben wollten? Es wäre entsetzlich!  

Juli 2020
Maria Knapp