Der erste der Herren von Winkel, der uns entgegentritt, führte den Namen Poppo. Der Name Poppo kommt in jenen Zeiten häufiger vor. Wir hören von Äbten des Klosters Niederaltaich mit Namen Popo. Aber auch bei den Babenbergern findet sich der Name. Der dritte Sohn des Markgrafen Leopold I. hieß ebenfalls Popo; er war Bischof von Trier.
In der Zeit, in der man anfing, auch den Erwerb und die Veränderung des Besitzes der weltlichen Herren urkundlich festzuhalten (bei den geistlichen Herren war dies schon früher der Fall), treten uns die Herren von Winkel schon als Dienstmannen des Markgrafen entgegen. Wir finden sie nun in den Babenberger Regesten, aber auch in anderen Urkunden.
In einer Reihe von Urkunden der folgenden Zeit ist auf das Dienstverhältnis der Herren von Winkel zu den Markgrafen – den Landesfürsten – ausdrücklich hingewiesen: Im Bestätigungsbrief des Heinrich Jasomirgott an das Stift Admont (1156) ist Poppo de Winchel unter den „Ministeriales ducis“ genannt. 1188 erscheint Otto de Winchel unter den Ministerialen Herzog Leopolds angeführt, ebenso im Jahr 1190. Herzog Leopold VI. nennt 1225 Ortlieb von Winchel „unseren Dienstherrn“. In einem Donationsbrief des Herzogs Friedrich II. von 1241 wird Ortlieb von Winchel ebenfalls als Ministeriale bezeichnet. 1258 erscheint Ortlieb von Winkel als „Ministeriale Austriae“. 1296 reiht Herzog Albrecht den Ortlieb von Winchel unter die „werden Dienstmann“. Und 1290 heißt es im Zeugenkatalog, in dem auch Ortlieb von Winkel aufscheint: „Omnes ministeriales“.
Eine zusammenhängende Geschichte des Geschlechtes der Herren von Winkel, eine Familienchronik, ist nicht überliefert. Über die Geschichte des Geschlechtes geben nur Urkunden Aufschluss, die verstreut in Urkundensammlungen verzeichnet und in staatlichen, Herrschafts- und Klosterarchiven verwahrt sind.
Die reiche Zahl der in den Archiven verwahrten Urkunden bringt fast nur die Rechtsgeschäfte der Herrengeschlechter. Wir erfahren daher fast nur von den Käufen, Verkäufen, Belehnungen, Tauschverträgen, Schenkungen, Stiftungen, Bestellungen der Morgengabe, der Aussteuer, letztwilliger Erklärungen der Herren von Winkel, also von Akten, die das Privatleben berühren.
Wir entnehmen aus diesen Urkunden, dass die Herren von Winkel häufig von ihren Standesgenossen (Ministerialen) zu deren Rechtsgeschäften als Urkundspersonen beigezogen wurden, dass andererseits ihre Standesgenossen sich als Urkundspersonen zur Verfügung stellten. Bemerkenswert ist, dass bei diesen Rechtsgeschäften der Ministerialen als Urkundspersonen, von wenigen Fällen abgesehen, ausschließlich nur ihre Standesgenossen, also Ministeriale und Leute ihres ritterlichen Gefolges beigezogen wurden. Die Namen der im Lande begüterten Grafen und Freiherrengeschlechter, das heißt, des höheren Adels, suchen wir darin vergeblich. Die Scheidung der Stände wurde in jener Zeit noch beachtet. Nur ganz selten kam es zu Eheschließungen zwischen Angehörigen des niederen und des höheren Adels. Die Ministerialen zählten nicht zum höheren Adel.
Bei Anführung der Zeugen in den Urkunden wurde meist eine bestimmte Reihenfolge nach Ansehen und Rang eingehalten. Zuerst reihten die Herren (domini) – die Kuenringer meist an ersten Stelle -, dann erst die Ritter und Knechte (= Knappen).
Die den Urkunden anhängenden Siegel überliefern uns meist die Wappen der siegelnden Zeugen und bieten oft die Handhabe, die Zugehörigkeit zu dem Geschlechte des Zeugen zu bestimmen. Der Inhalt mancher Urkunden gibt uns Nachricht über die Zahl der Kinder, zum Teil über das Verwandtschaftsverhältnis oder über die eheliche Verbindung mit anderen Ministerialengeschlechtern, ferner über die Zunahme und Abnahme des Besitzes und den schließlichen Niedergang des Geschlechtes.
Die Herren von Winkel hatten als altes Geschlecht noch ein einschildiges Wappen: das aufsteigende Einhorn (vom Betrachter nach links aufsteigend). Wir dürfen an Hand des Wappens des Besitzers der Herrschaft Grafenegg, der sich betreff Winkel als Nachfolger der Herrn von Winkel fühlte und daher Mitte des XVI. Jahrhunderts das Einhorn als Wappentier in einem Geviert seines Wappens wählte, vermuten, dass die Grundfarbe blau, das Einhorn silbern, das Horn des Tieres golden war.
Zum Entwurf eines lückenlosen, durchlaufenden Stammbaumes der Winkler reichen all diese Urkunden jedoch nicht hin. Sämtliche Herren von Winkel in eine zusammenhängende Reihenfolge zu bringen, ist nach den bisher aufgefundenen Urkunden vergebliche Mühe. Soweit solche Versuche bisher vorliegen, sind sie als gewagte Kombinationen anzusehen. Es kann meist nur einigermaßen angegeben werden, in welcher Zeit die Winkler nebeneinander gelebt haben oder einander gefolgt sind. Nur in wenigen Urkunden ist der Verwandtschaftsgrad angegeben.
Mit der Zeit schied sich das Geschlecht in mehrere Zweige. Die Brüder Ortlieb von Winkel auf Winkelberg (mit Gisela von Feldsberg vermählt) in der Zeit von 1263 – 1319 genannt, und Hadmar von Winkel (wahrscheinlich mit Anna von Starhemberg verehelicht), ebenfalls 1263 – 1319 genannt, gründeten je eine Linie. Ortliebs Nachkommen hatten die günstiger gelegene Veste Winckelberg inne; Hadmars Nachkommen saßen auf der alten Stammfeste Winkel an der Donau. Letztere begegnen uns nun meist mit dem Beinamen „von Winchel bei der Tuenaw" oder "von der Tunaw“.
Dann gab es noch einen Zweig, der in der „Riedmark“ wohnte. Wann dessen Abzweigung erfolgte, ist nicht festgestellt.
Waren mehrere Brüder eines Geschlechtes vorhanden und kam einer durch Heirat zu neuem Besitz, nannte er sich wohl auch nach dem neuen Besitz. Dieser Vorgang konnte bei anderen Adelsgeschlechtern z. B. den Herren von Falkenberg oder den Herren von Losenstein zweifelsfrei festgestellt werden.
Auch kam es vor, dass sich ein Adeliger einmal nach dieser, einmal nach jener seiner Burgen nannte. Infolge der Veränderung des Geschlechtsnamens nach ererbten, erheirateten oder neuerbauten Burgen lässt sich daher der Zusammenhang dieser Sprossen eines Geschlechtes mit einer Familie oft nur mehr vermuten.
Es kamen aber nicht nur Änderungen des Beinamens, sondern auch Wappenänderungen vor. In solchen Fällen ging dann jeder Anhaltspunkt der Zusammengehörigkeit verloren. Es ist daher auch bei dem Geschlecht der Winkler sehr wahrscheinlich, dass uns in Urkunden ein geborener Herr von Winkel begegnet, den wir als solchen gar nicht mehr erkennen.
Andererseits ist wieder zu beachten, dass wir bei dem einen oder anderen in den Urkunden genannten den Beinamen „von Winchel“ oder „von Winchelberg“ angeführt finden, obwohl dieser gar nicht dem Geschlecht der Herren von Winkel angehörte. Es kann sich um einen Dienstmannen des Geschlechtes handeln, der den Namen nicht als Geschlechtsangehöriger führt, sondern nur als „Diener“, als „Dienstmann“, als „Lehensträger“ der Herren von Winkel oder Winkelberg. In einigen Fällen ist dies aus dem Inhalt der Urkunden genau festzustellen. Auch ist der Fall möglich, dass nur eine Herkunftsbezeichnung vorliegt, dass der Name nur angeben sollte, aus welchem Orte der Träger stammt.
Mai 2013
Maria Knapp