Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at
Eine wahre Schneidergestalt ist Johann Schuster in Winkl, so kläglich und jammervoll, daß ein Windhauch ihn umstoßen und ein Häschen in die Flucht jagen kann. Noth aber kennt kein Gebot – er mußte, um nicht mit Weib und Kind zu erfrieren, manchmal dürres Holz in der Au sich aulesen, was bekanntlich in den Breunerschen Auen streng verboten ist – denn dort muß es verfaulen. – Sein früherer Hausherr hatte aus Rache beim Förster Haunold in Altenwörth ihn angeschwärzt – man paßte nur auf eine Gelegenheit. Diese kam vorige Woche. Es war Jagd in Grafenegg – Förster Haunold bestellte zum Aufseher über die Fuchsberger Au einen gewissen Richard Hrdlitschka von Altenwörth. Der sah nun, wie das arme Schneiderlein dürres Holz auflas – dasselbe liegt noch an Ort und Stelle – den Aufseher sehen und davonlaufen war eins. Hrdlitschka aber hatte nichts Eiligeres zu thun, als ihm eine volle Ladung in die Waden nachzuschießen.  Der Schneider stürzte zusammen und der Förster Stellvertreter prügelt ihn so durch mit einem Stocke, daß der Mann das Fleisch von den Knochen los hat und sein Weib ihm heute noch das Essen reichen muß. Entschieden muß es in Abrede gestellt werden, was Hrdlitschka vorgibt, dass H. Schuster nach Vögeln geschossen, denn wenn der einen Schuß hört, geht es ihm wie dem Schneider in einem Gedichte von Goethe: er fiel vor lauter Schreck in den Or..“ Andererseits wird aber gewiß die Frage erlaubt sein: Wie kommt ein Förster dazu, solche Leute als Stellvertreter aufzunehmen, die vielleicht nicht einmal das Recht habe, Waffen zu tragen; ferner ist es für die Auen denn auch vor Vortheil, wenn alles alte Holz und alte Gras darin verfaulen und zur Brutstätte von Ungeziefer werden muß? Selbst die strengen preußischen Waldgesetzte erlauben ein Sammeln des dürren Holzes, gegen Erlaubnis allerdings. Die wird aber in den gräflich Breunerschen Revieren nicht gegeben. Endlich noch eine Frage. Wird vielleicht auch diesmal dem Gesetze eine Nase gedreht, weil der Geschlagene ein armer Scheider, der Schläger aber ein gebildet sein wollender Angestellter ist? Das arme Schneiderlein ist ohnehin genug gestraft. Wir werdens ja sehen.
(Kremser Zeitung vom 28.12.1889) 
 

Vor einiger Zeit wurde jenem armen Schneiderlein, das in Winkl etwas dürres Holz „getragen“, endlich Gerechtigkeit zutheil. Dem Aushilfsjäger wurde vor allem das Gewehr weggenommen (er hatte ja keinen Waffenpaß) und während er in Kirchberg 3 fl  nur zu zahlen hatte, bekam er in Korneuburg 12 Monate zugetheilt. Freilich mußte der angeschossene und durchgeprügelte und zerschlagene zu 6 Tagen verurteilte Schneider auf allen Vieren sozusagen nach Korneuburg sich schleppen, um Recht zu finden.
(Kremser Zeitung vom 26.7.1890) 

September 2020
Maria Knapp