Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at

Das alte Kino

Auf dem abfallenden Gelände südlich des alten Winzerkellers, der einstigen Schießstätte, errichtete die Gemeinde in den 1890er-Jahren ein Schwimmbad.  Der im Müllergraben beheimatete Gastwirt Alois Schiel pachtete diese Fläche um 1920 für 30 Jahre, riss das verfallene Bad ab und errichtete über einem meterhohen Mauersockel mit dem Material einer in Moosbierbaum abgebrochenen Rüstungsbaracke einen Kino- und Theatersaal.

Die große Projektionsfläche war durch eine Bühne von 90 m2 und davor durch einen versenkten Orchesterraum etwa 12 m von der ersten Zuschauerreihe entfernt. Unter der Bühne waren Umkleidekabine und Requisitendepot untergebracht, den 300 Sessel fassenden Zuschauerraum schlossen rückwärts ein Balkon und zwei Logen ab. Darüber befanden sich Kassa, Büffet, Toiletten und der Operateurraum.

Der zehn Meter hohe Holzsaal hatte eine gute Akustik und bot die Kulisse für großartige Operettenaufführungen, Silvesterabende mit Schauturnen, Klapphornverse (eine in Deutschland entstandene humoristische Gedichtform mit vier Zeilen), Sepp Rittlers heitere Vorträge sowie glanzvolle Masken- und Kostümbälle des Theatervereins.

Die Schule nutzte das Kino für Schulaufführungen – den ersten Eintrag in der Schulchronik hierzu gab es bereits 1923 -, auch lehrreiche Filmvorführungen wurden besucht. Am 24. Juni 1923 wurde im Kinosaale eine Schulaufführung gegeben, die sehr beifällig aufgenommen wurde und über 1 Mill. K. Reinertrag abwarf, der zur Anschaffung von Lehrmitteln verwendet wird.

Auch von Seite der Kirche wurde das Kino gerne für Vorträge in Anspruch genommen: Am 25. Oktober 1925 fand im hiesigen Kinosaale die Vorführung des Missionsfilms statt, mit den Erklärungen des hochw. Generalsekretärs Karl Drexler aus Wien. Die Vorführung fand 2 mal statt und jedes Mal war der Saal überfüllt. Derselbe brachte dem Franziskus Xaverius-Missionsverein die Summe von 2 Millionen.

2. Juni 1929: Am selben Tage nachmittags wurde der Christusfilm „König der Könige“ im hiesigen Kino-Saale aufgeführt. 4 Vorstellungen waren ganz besetzt. Allgemeines Gefallen. 

1933 meldete Sepp Rittler seinen Gemischtwarenhandel vom Bahnhofsbuffet in das Kinogebäude um.

 Kino um 1950                            Flugaufnahme um 1950

Das alte Kino

Auch die Kinder der umliegenden Schulen kamen ins Kino: Am 3. November 1934 sahen die Schulkinder im Kirchberger-Tonkino den Dr. Dollfuß-Film.
Der schöne Grenzlandfilm von Königsberg bis Berchtesgaden vereinigte die Schulkinder der Umgebung im Tonkino Kirchberg. (Schulchronik Engelmannsbrunn) 

Von Seiten der NSDAP wurde der Saal ebenfalls genutzt:
1938: Am 19. Nov. um 8 Uhr abends fand im hiesigen Kinosaale unter großer Beteiligung der Bevölkerung von Kirchberg u. Umgebung eine Werbeversammlung der NSDAP statt.
1939: Am 25. Nov. 1939 fand im Kinosaal ein Lichtbildvortrag über unsere Kolonien in Afrika statt. Acht zu Gast weilende Askari zeigten die Sitten und Gebräuche der schwarzen Kolonialvölker. An dem Vortrag nahmen außer der hiesigen Volks- und Hauptschule auch die Nachbarschulen Ottenthal, Engelmannsbrunn und Neustift teil.
1941: In Anwesenheit des stellvertretenden Kreisleiters des Landkreises Tulln fand im Kinosaale in Kirchberg die mit Verordnung des Reichsstatthalters verfügte Vereinigung der Gemeinden Kirchberg, Engelmannsbrunn, Neustift u. Mallon zu einer Bürgermeisterei mit dem Sitz Kirchberg a. Wagr. statt.
Am 7. November 1941 hielt die Ortsgruppe Kirchberg a. Wagr. der NSDAP im Kinosaale eine Gedenkfeier für die Gefallenen des jetzigen Krieges ab.
1942: Anläßlich der Kulturwoche im Kreise Tulln fand im Kinosaal in Kirchberg für die Schulen Kirchberg, Engelmannsbrunn und Neustift eine Märchenstunde statt.
Am 16. Dezember nahm die ganze Schule an der Vorführung der Grenzlandpuppenbühne im  Kinosaale in Kirchberg teil.
Am 24.6.1942 aufgeführtes Volkskonzert der NSDAP unter dem Leitwort "Beschwingte Musik". Der über 300 Personen fassende Kinosaal Kirchberg war ausverkauft.
1942:  Am 13. Okt. hielt die Ortsgruppe der NSDAP im Kinosaal eine würdige Ehrung für die im jetzigen Kriege Gefallenen aus dem Ortsgruppenbereiche ab. Hiezu wurden die Angehörigen der Gefallenen besonders geladen.
8.11.1942: In dem zu einer Gedächtnisstätte mit Lorbeer und Fahnen umgewandelten Kinosaale in Kirchberg fand am 8.November unter Mitwirkung vom BDM und HJ die Heldengedenkfeier für die Helden der Bewegung, des Weltkrieges und des jetzigen Krieges statt.
9.12. 1942: Vortrag: "Die Wunderwelt des wilden Westens".
Am 9. Dezember sprach im vollbesetzten Kinosaale in Kirchberg der im In- u. Auslande bestens bekannte Forscher und Jagdschriftsteller Albert Messany über seine Erlebnisse im wilden Westen, wohin ihn sein Forscherdrang wiederholt getrieben hat. Der ausgezeichnete Vortrag, untermalt von prachtvollen, farbigen Steh- und Laufbildern, nach dem deutschen Agfaverfahren hergestellt, riß die dankbare Zuhörerschaft wiederholt zu stürmischem Beifall hin. Die Jagdfreunde und Photoliebhaber kamen voll auf ihre Rechnung und auch das übrige Publikum war eins in dem Urteil, derartig Schönes noch selten gesehen zu haben.
(Schulchroniken Kirchberg am Wagram, Neustift und Engelmannsbrunn) 

1945 fielen zwei feindliche Bomben in der Nähe des Kinos, ohne Schaden anzurichten.
1946 kam es zu einem schweren Unfall nahe des Kinos: Kinder wurden durch einen Erdrutsch verschüttet, ein Bub starb.

1950: In einer guten Zusammenarbeit aller kulturellen Vereine wurde im Kinosaal eine große Silvesterfeier durchgeführt. Die Rede hielt Dir. Gruber. Im Programm wurde auch ein Nestroy-Stück gebracht.
(Schulchroniken Kirchberg am Wagram)

1950 meldete Elisabeth Schmidt-Sinnl einen Kleinhandel mit Süßwaren, Erfrischungsgetränken, belegten Brötchen und Wurstsemmeln, beschränkt auf die Zeit eine Stunde vor und während der Kinovorstellungen an.

Kinobrand

Eintrag in der Schulchronik Kirchberg am Wagram:
Am Mittwoch, den 29. Oktober 1952 fiel das Kirchberger Kino einem Brande zum Opfer. Der Brand brach um zk. 1815 aus und dürfte seine Ursache in einer schadhaften Rohrleitung bzw. Ofen gehabt haben, da an diesem Tage nachmittags schon geheizt wurde und niemand im Kino nach dem Anheizen war. Innerhalb kurzer Zeit brannte der ganze Bau lichterloh. Bis 2015 hoffte man, den Vorderteil (Kassen, Garderoben, Apparaturen) zu halten, doch dann wurde auch dieser Teil ein Raub der Flammen. Der im Markt Kirchberg seit je bestehende Wassermangel machte sich auch bei diesem Brande bemerkbar. Außer den geretteten Vorführungsapparaten brannten das ganze Gebäude (Baracke, zum Teil gemauert) und das darin befindliche Inventar nieder.

Aus der Arbeiterzeitung vom 31.10.1952
Ein Kino in Flammen
Mittwochabend bemerkten zwei Gendarmen, die durch Kirchberg am Wagram patrouillierten, daß aus den Dachfugen des Kinogebäudes Rauch drang. Die Feuerwehren von Kirchberg und den umliegenden Ortschaften wurden alarmiert. Als sie an der Brandstelle eintrafen, brannte das Dach des Kinos lichterloh. Die Feuerwehrleute drangen in das Innere des Kinosaales ein. Dadurch entstand Zugluft und die Holzkonstruktion des Gebäudes wurde im Nu vom Feuer erfaßt. Die hohe Flammengarbe war im ganzen Tullner Feld zu sehen. Die wertvollen Geräte konnten noch gerettet werden. Das Gebäude brannte völlig nieder. Man nimmt an, daß eine undichte Ofenröhre das Feuer verursacht hat. Im Saal war wenige Stunden vor Ausbruch des Brandes eingeheizt worden.

Das neue Kino

Das Haus wurde nicht mehr aufgebaut, die wertvollen Vorführ-Apparate konnten aber von der Feuerwehr gerettet werden. Die Filmvorführungen wurden ins Gasthaus Hirsch verlegt. Tochter Herta heiratete Dr. Franz Eiselt, mit dem sie ab 1955 Gasthaus und Kino weiterführte.

Am 7. Februar 1955 war in der Pfarre der erste Müttertag. Er begann mit der Müttermesse. Im Kinosaal sprach Frau Hedwig Moritz von der kath. Frauenbewegung Wien über: "Erziehung und Aufklärung"; nachm. sprach eine Ärztin über "Ehefragen".
1. Mai 1955: Großkundgebung des Kath. Familienverbandes im Kinosaal in Kirchberg am Wagram.
(Pfarrchronik Kirchberg am Wagram)
3.6.1956: Am Nachmittag fand die Mozartfeier statt.…Der Kinosaal war zu klein. Durch Lautsprecher wurde das Programm in den Gastgarten übertragen.

Am 1. Mai 1957 fand die Jungbürgerfeier des Bezirkes statt. Von der Schule zogen die Bürgermeister, die Schulleiter, Jungbürger und Festgäste zur Kirche zum Festgottesdienst…. Unter klingendem Spiel ging es dann zum Kinosaal, wo die Feier stattfand.
2. März 1958: Männerrunde im Kinosaal. Über 250 Männer nahmen teil. Zwei Jungbauern erzählten von Amerika, wo sie 8 Monate arbeiteten.
1961: In der Zeit vom 20. – 27.II. fand in Kirchberg am Wagram eine Dorfbildung mit sechs Vortragsabenden (Beginn jeweils 1900h im Kinosaal) statt.
Vom 5. - 10. Feber 1962 fand in Kirchberg im Kinosaal die diesjährige Dorfbildungswoche statt. Die Vorträge wurden von den Lehrkräften unserer Schule regelmäßig besucht.
(Schulchronik Kirchberg am Wagram)
1962 meldete Dr. Franz Eiselt den Kleinhandel mit Süßwaren, Erfrischungsgetränken, belegten Brötchen und Wurstsemmeln, beschränkt auf die Zeit eine Stunde vor und während der Kinovorstellungen an.
 
Kino im Gasthaus EiseltDer Innenhof das Gasthofes mit dem ehemaligen Kino. Das Foto stammt von einer Radrätselfahrt des Theatervereines.

Mitte der 1980er-Jahre sperrte das Kino seine Pforten. Das Gebäude ist heute an die Raiffeisenbank vermietet.

Quellen:
Theaterverein Kirchberg am Wagram
Schulchroniken Kirchberg am Wagram, Engelmannsbrunn, Neustift

Fotos:
Dr. Rudolf Delapina
Hermann Pistracher
 
Oktober 2024
Maria Knapp