Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at
Am 16. Juni 1866 sprach der Kandidat der Konservativen Partei, Graf Carl Aichelburg,  in Kirchberg vor Wählern.
 

Zur Wahlbewegung. 
Vom Wagram, 17. Juni. Am 16. Juni Nachmittags fand hier eine Besprechung statt zwischen dem katholischen Candidaten Graf Carl Aichelburg und den Wählern des Gerichtsbezirkes Kirchberg am Wagram. Obwohl die bezüglichen Placate mehrmals herabgerissen wurden, so war die Versammlung dennoch sehr zahlreich besucht. Der Liberalismus war ziemlich stark vertreten. Nach langem Hin- und Herreden unter den Anwesenden beider Parteien gelang es endlich dem Herrn Pfarrer Willim die Ruhe so weit herzustellen, daß er selbst die Versammlung mit ihrem Zwecke bekannt machen und Graf Aichelburg mit seinem Vortrage beginnen konnte. Redner sagte: Das Landvolk brauche Vertreter, die aus seiner Mitte genommen, seine Bedürfnisse genau kennen; er sei selbst Landbauer, lebe wie jeder Bauer von dem, was er dem Boden abringe, und die Gemeinsamkeit der Interessen zwischen ihm und seinen ländlichen Wählern sei eine sichere Bürgschaft, daß er für diese sorgen werde. Er wolle das Auge des Landvolkes sein, um dessen Interessen überall wahrzunehmen; er wolle der Mund des Volkes sein, um dessen Rechte zu vertheidigen. Redner ging dann über auf das Programm des constitutionellen Vereins des V.O.M.B. Der Friede zwischen Kirche und Staat sei herzustellen, jede Religionsgenossenschaft solle völlig freie Bewegung haben, insbesondere solle jeder Kirche der bisherige Einfluß auf ihre Schule gewahrt bleiben. Was den Schulzwang bis zum 14. Jahre betreffe, so finde er diesen den Interessen des Landvolkes nicht förderlich. Dieser Passus wurde mit vielem Beifalle aufgenommen und es entspann sich eine lange Debatte unter den Versammelten, von welcher Pfarrer Willim Gelegenheit nahm, gegen die Confessionslosigkeit der Schule zu sprechen und in Beziehung auf den Schulzwang bis zum 14. Jahre zu bemerken, daß wir jetzt ohnehin eine so große Anzahl von Realschulen u. dgl. hätten, und es in Folge dessen für jeden etwas Leichtes sei, seine Kinder mehr lernen zu lassen, wenn er wolle.

Graf Aichelburg fuhr dann fort: Wir Katholiken wollen anderen Confessionen durchaus nicht nahe treten; wir wollen mit allen in Frieden leben, und mit allen ausgleichen, nur nicht in jener Weise, wie Oesterreich mit Ungarn. Redner plaidirte dann für größere Selbständigkeit der ländlichen Bevölkerung. In Beziehung auf die Steuerlast bemerkte Redner, daß Grund und Boden überbürdet seien; er habe schon oft gehört, daß Bauern wegen Steuerrückständigkeiten gepfändet worden seien, noch nie aber, daß z. B. eine Zeitung ihre Gebühren nicht zahlen konnte; hieraus gehe hervor, daß eine bessere Vertheilung der Lasten noththue. Eine Revision des Pensionsstatur wäre gleichfalls nothwendig, die in Graz lebenden Pensionisten verzehren jährlich über eine Million. Als allgemeiner Grundsatz unserer Finanzwirtschaft sei das Sprichwort: „Sich strecken noch de Decken“ zu empfehlen. In Beziehung auf Militärwesen will Redner auf einige Erleichterung in der Recrutirung mitwirken. Nachdem der Herr Graf noch Einiges über Civilehe und Versöhnung der Nationalitäten gesprochen, mehrere Interpellationen in Bezug auf das überhandnehmende Vagabundenwesen, freie Theilbarkeit der Bauerngründe u. dergl. beantwortet, seinen Collegen in der Candidatur Lamerauer empfohlen hatte, schloß er seine Rede, welche, wie auch die Gegner nicht leugnen können, mit seltener Ruhe und Mäßigung gehalten, ebenso frei von Animosität gegen die liberale Partei, wie von Großsprecherei war und von der großen Mehrzahl der Anwesenden mit Interesse und Beifall angehört wurde.

Ein Mitglied der Versammlung benützte eine Pause, um gegen die Jagd nach Orden, Verwaltungsrathsstellen, Aemter, welche sich die früheren Abgeordneten zu Schulden kommen ließen, zu sprechen. Ein diesbezüglicher Antrag: Der conservative Abgeordnete möge sich in dieser Beziehung völlige Enthaltsamkeit zur Richtschnur nehmen, fand Zustimmung, was Orden und Verwaltungsrathsstellen betrifft -; in betreff der Staatsämter hieß es, würde die Befolgung dieses Antrages nur der eigenen Partei zum Schaden gereichen. Doch erhielt die ursprüngliche Fassung des Antrages Unterstützung durch eine Erklärung des Pfarrers Willim, welcher meinte: soll ein conservativer Abgeordneter eine Staatsamt antreten, so wolle er hierüber seinen Wählern Rechenschaft geben, um den Schein des Eigennutzes, dess man ihn vielleicht beschuldigen könnte, von sich zu wälzen. Da diese Verhandlung nicht ohne Seitenhiebe auf … Schindler und andere liberale Helden und Verwaltungsräthe vor sich ging, so mußte es geschehen, daß die anwesenden Vertreter der Gegenpartei in einige Aufregung kamen. Um nun Worte der Mäßigung und des Friedens zu sprechen, erbat sich Probst Liebhart von Krems Ruhe. Er redete von den Eigenschaften eines guten Deputirten: Uneigennützigkeit, Einsicht und Religiosität. Redner bespricht verner, von Befall mehrmals unterbrochen, das Schulgesetz, und hebt insbesonders die Nothwenidgkeit der religiösen Uebungen hervor. Dann geht er auf die Ehe über – wir wollen den sacramentalen Charakter derselben aufrecht erhalten, die Zwangscivilehe hintanhalten als eine ebenso unnöthige als schädliche Sache. Man beruft sich auf Frankreich, doch auch dort ist man nicht zufrieden mit der bürgerlichen Trauung, man geht vom Maire zum Pfarrer. Wir katholisch-conservative Partei werden den anderen Religionsgenossenschaften nichts in den Weg legen; doch mögen die Juden und Protestanten nicht immer in unsere Sachen hineinpfuschen. Jetzt offen als Katholik aufzutreten, dazu gehört Muth und Charakter; als einen der Beides hat, spricht Redner, könne er noch bestem Wissen und Gewissen den Grafen Carl Aichelburg empfehlen.

Diese Rede hatte den besten Erfolg und nun forderten einige conservative Wahlmänner die anwesenden Liberalen auf, die Tribüne zu besteigen und ihre Ansichten vorzubringen; doch unbegreiflicher Weise ließ sich keiner hiezu herbei.

Man trennte sich, und die bei der Versammlung nichts sprachen, hatten nun Muth, um auf der Gasse recht weidlich über „dummes Bauernvolk“ und „elende, herrschsüchtige Pfaffen“ zu schimpfen. Würde daran etwas liegen, so könnte die conservative Partei sich über den 16. Juni nicht freuen; aber zum Glück ist von beiden das Gegentheil der Fall.  

Quelle: Wiener Zeitung vom 17. Juni 1866, veröffentlich in ANNO  

Juli 2014
Maria Knapp