Der Begriff Wanderjahre, auch Walz genannt, bezeichnet die Zeit der Wanderschaft der Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit. Sie war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung in manchen Handwerksberufen eine der Voraussetzungen dfür die Zulassung zur Meisterprüfung. Die Gesellen sollten allem neue Arbeitspraktiken, fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen sowie Lebenserfahrung sammeln.
Das heutige Bild über die Gesellenwanderung ist teilweise durch alte Heimat- und Märchenfilme verklärt, war aber eine harte Zeit für die jungen Burschen. Sie konnten an Habseligkeiten nur mitnehmen, was sie in einem Bündel über die Schulter tragen konnten. Den Großteil der oft weiten Strecken mussten sie zu Fuß zurücklegen. Sie waren auf das Wohlwollen des jeweiligen Meisters angewiesen.
Ein solcher Wandergeselle war auch Ignaz Schwanzer aus Bierbaum 25. Er wurde am 9.7.1834 als Sohn des Kleinhäuslers und Hauers Mathias Schwanzer und der Theresia (geb. Kallina aus Frauendorf) geboren. Im Alter von 18 Jahren hatte er seine Hafnerlehre abgeschlossen und begab sich auf die Walz. Das war auch damals keine unbürokratische Angelegeneheit, wie man anhand des folgenden Wanderbuches feststellen kann. Es waren einige Behörden eingeschaltet, jede Reise musste penibel eingetragen und vom jeweiligen Bürgermeister bestätigt werden.
Handschriftlich eingefügte Texte sind kursiv geschrieben. Die Unterschriften der jeweiligen Amtspersonen sind oft nicht mehr les- und feststellbar.
No 393
Wanderbuch
In Folge des allerhöchsten Patents vom
24. Februar 1827 und der bezüglichen
nachträglichen Verordnungen
Vor- und Zuname Ignaz Schwanzer
Geburtsort Bierbaum im Klebühl
Im Bezirke Krems
Des Kronlandes Niederösterreich
Geburtsjahr 1824 1834 dreißig vier
Heimatgemeinde Bierbaum
Im Bezirke Krems
Des Kronlandes Niederösterreich
Profession Hafnergesell
Stand ledig
Statur mitterer
Gesicht rundes
Haare braun
Augen braun
Nase spitzig
Mund klein
Besondere Kennzeichen ohne
Namensfertigung Ignaz Schwanzer
Seite 3
Richtung und Dauer der Wanderbewilligung.
Gültig auf die Dauer von zwey Jahren in sämtl. k.k. öst. Kronländer und geht nach Berg.
Alle in- und ausländischen Behörden werden ersucht, dem Vorweiser dieses Wanderbuches das Wandern unbeirrt zu gestatten und ihm thunlichen Vorschub zu leisten.
Krems, den 24. Aug. 1852
Unterschrift
Sekretär
Korrektur des Geburtsjahres geschah ämtlich
Krems den 22. März 1854
Unterschrift
Sekretär
Seite 4
Belehrung in Betreff der Wanderbücher
- Die Wanderbücher werden auf Grundlage des Heimatscheines vom Bezirkshauptmanne und an Orten, welche eigene Magistrate haben, vom Magistrate ausgefertiget.
- Bei der Ausfertigung ist der Kostenbetrag für das Wanderbuch mit 15 kr., dann die Stämpelgebühr von 6 kr. zu entrichten.
- Das Wanderbuch ist beim Eintritte in die Arbeit dem Arbeitsgeber zur Aufbewahrung zu übergeben. Beim Austritte aus der Arbeit hat Letzterer mit dem Arbeiter und mit dem Wanderbuche zum Gemeindevorsteher sich zu verfügen, dort die Zeit, durch welche dieser in Arbeit gestanden, genau anzugeben und wenn die Arbeiter geschickt, fleißig und treu sich benommen, diese Eigenschaften zu bestätigen.
Beides hat der Gemeindevorsteher in das Wanderbuch einzutragen.
Sollte das Zeugniß in Ansehung jener Eigenschaften nicht günstig ausfallen, so ist nur die Arbeitsdauer oder hinsichtlich des Zeugnisses über die wahrgenommenen Eigenschaften des Arbeiters nur jenes aufzunehmen, was diesem zum Vortheile gereicht.
Der Arbeitgeber hat dieses Zeugnis mit seiner Namensfertigung zu versehen und der Gemeindevorsteher die Fertigung ämtlich zu bestätigen. - Will ein Wanderbuch als Reiseurkunde in ein anderes Kronland benützt werden, so muß es dahin vom Bezirkshauptmanne vidirt werden, soll dasselbe als Paß zur Reise in das Ausland dienen, so ist dessen Vidirung von Seite des Kreispräsidenten oder Statthalters nothwendig.
Die Vidirung des Wanderbuches an Orten, wo der Handwerksgeselle in Arbeit gestanden ist, geschieht, nachdem die Meister die Arbeitszeit und das Verhalten des Gesellen ordentlich eingetragen hat, durch den Gemeindevorsteher, falls nicht im Orte sich eine eigene Polizeibehörde befindet.
Wenn seit der letzten oberwähnten Amtsvidirung sechs Wochen verstrichen sind, so erscheint das betreffende Individuum nicht mehr hinlänglich legitimiert und ist nach Maßgabe der bestehenden Polizeivorschriften zu behandeln.
Der Geselle oder Arbeiter darf weder die Frist der Wanderbewilligung, noch das Gebiet, für welches sie ihm ertheilt worden ist, bei sonstiger Verantwortung überschreiten. - Sollte in einem Wanderbuche kein Raum mehr erübrigen, so ist dem Handwerksgesellen oder Arbeiter zu dem früheren Wanderbuche ein zweites auszustellen in dem letztern jedoch ausdrücklich zu bemerken, daß selbes eine Fortsetzung des früher erhaltenen sei.
- Geht ein Wanderbuch verloren, so hat der Handwerksgeselle oder Arbeiter davon bei dem Bezirkshauptmann oder dem Magistrate, in dessen Amtsbezirke sich der Verlust zugetragen hat, die Anzeige zu machen. Dieser wird die Richtigkeit der Angabe genau erörtern und nach erlangter Ueberzeugung, daß der Verlustträger mit einem Wanderbuche versehen war, demselben die ämtliche Bestätigung des Verlustes ausstellen, gegen welche demselben ein Duplicat des ursprünglichen Wanderbuches mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß es ein Duplicat ist, von der dazu berufenen Behörde ausgefertigt werden kann,.
- Jede Verfälschung eines Wanderbuches oder Mißbrauch mit demselben, wird nach den bestehenden Gesetzen bestraft.
No 659
Gesehen zur Reise nach Krems u. wird zugleich bestättiget daß Producent vermög beygebrachten Arbeits-Zeugniß durch Eilf Monat u. Vierzehn Tage bey Hr. Karl Spehowfsky Hafner-Meister in Markte Perg zur vollsten Zufriedenheit in Arbeit gestanden sey, u. sich auch immer ordentlich benohmen hat.
Gemeinde Vorstand Perg
Am 30. August 1852
Unterschrift
No 71
Gesehen zur Reise nach Perg Ob.Öst. mit dem Bemerken, des Producent laut beigebrachten Zeugniß vom 1. Sept. d.J. bis heute bei Hw. Ferd. Schwanzer hies. Hafnermeister zur vollsten Zufriedenheit treu und fleissig gearbeitet hat, u. sich sittlich verhalten hat.
Kollmitsberg 28. Dez. 1852
Unterschrift
Seite 9
Gesehen zur Reise nach Krems um seine Freunde zu besuchen.
Gemeinde Vorstand Perg den 19. März 1854
Hueber
Nach Wien auf Besuch.
Krems am 22. März 1854
Für den Sekretär
Rentmeister
Seite 10
Z 1673
Zur Reise Berg in N.Öst.
Wien am 30. März 1850 Wien
Unterschrift
Gesehen zur Reise nach Krems zur Abstellung, und wird zugleich Obrigkeitlich bestättiget, daß Produzent durch ein Jahr und fünf Monat vermög mündlicher Bestättigung des Hafnermeister Anton Hojek im …….…. Perg in Arbeit gestanden, und sich auch ordentlich betragen habe.
Gemeindevorstand Perg den 8. Juny 1854
Franz Huber
G:B:
Nach Horn
Krems am 11. July 1854.
Rentmeister
Seite 12
394
Verlängert bis Ende Dezbr. 1854 in sämtl k.k. öster. Kronländer
Krems den 11. Septbr 1854
Unterschrift
Sekretär
No 219
Producent erhält hiemit eine fernere Wanderbewilligung für sämtliche k.k. Kronländer bis zur nächsten Rekrutenstellung. Geht nach Dros.
K.k. Bezirksamt Kirchberg am Wagram zu Grafenegg am 13ten Februar 1850fünf.
Der k.k. Bezirksvorsteher
Unterschrift
Grafenegg am 13ten Februar 1855.
JBKuntschner
Inhaber dieses Wanderbuches hat bei dem Hafnermeister Martin Wisman vom 11 Juli 1854 bis heitigen Datum in voller Zufriedenheit treu und fleißig Gearbeitet
Dross am 5 Sept. 1855
Fr Lintner
Bürgstr.
Seite 15
No 1381 Gesehen nach Wien
K.k. Bez Amt Kirchberg zu Grafenegg am 7t Septb. 1855
JohGerner
Der k.k. Bezirks Vorsteher:
Unterschrift
No 759 dem Produzenten wird, nachdem er zur heurigen Rekruttenstellung nicht beruffen ist, eine fernere Wanderbewilligung mit dem früheren Anhange bis Ende Februar 1850sieben hiemit ertheilt.'
K.k. Bezirksamt Kirchberg am Wagram den zehnten April 1850sechs.'
Der k.k. Bezirksvorsteher
Unterschrift
Produzent hat durch mündliche Bestättigung seines Meisters Sebast: Fischer zu Hausleithen bei demselben durch 38 Wochen zur vollsten Zufriedenheit gearbeitet.
Hausleithen den 23. Juli 1856
Unterschrift
Seite 18
No 1479
Gesehen zur Reise nach Linz
Kirchberg am Wagram den 15ten Juli 1856
JohGerner
Hat durch vier Wochen zu Mautern bey Josef Jung Hafnermeister zur Zufriedenheit gearbeitet und sich ehrlich verhalten.
Geht nach Amstetten
K.k.Amt Mautern, am sechs u. zwanzigsten August 1850sechs
Unterschrift
Nro 42
Produzent hat laut hier inliegenden Zeignißes, als Hafnergesele von 26. August 1856 bis 5. Jänner 1857 beim Johann Schücher, Hafnermeister in Herzogenburg zur vollsten Zufriedenheit gearbeitet, und ändert seine Marschrute und geht über Krems nach Wien.'
Herzogenburg den fünften Jänner 1850 Sieben
Unterschrift
Seite 20
No 586 Prolongirt mit dem früheren Anfange bis Ende Februar 1858.
K.k. Bezirksamt Kirchberg am Wagram den 14t April 1857.
JohGerner
… Commission
Traismauer 5/11 1857
Unterschrift
Bürgermeister
No 98
Wurde zur heurigen Rekruten-Stellung nicht berufen; erhält eine fernere Wanderbewilligung mit dem früheren Anhange bis Ende Jänner 1859. –
K.k. Bezirksamt Kirchberg am Wagram den 17. März 1858.
Der k.k. Bezirksvorsteher.
Unterschrift
No 184
Prolongirt auf Grund des hier deponirten Heimtscheines vom 15. Mai 1859. No 285 auf weitere drey Jahre mit dem vorigen Anhange.
K.k. Bezirksamt Kirchberg am Wagram
16. May 1859.
Watzinger
Gültig als Legitimations Urkunde für Reisen im Innern des Österreichischen Kaiserstaates auf die Dauer eines Jahres.
K.k.Bez. Amt Kirchberg am Wagr. 9. Septb. 1862.
Watzinger
Seite 24
Nr.67
Gitlig als Legitimations-Urkunde zum Wandern in den k.k. öst. Kronländern auf die weitere Dauer von 3 drei Jahren; auf Grund des unter Einen hieramts hinterlegten Heimatscheines.
K.k. Bezirksamt Kirchberg a. Wag. den 26ten Oktober 1863/:drei:/
Joh: Kritsch.
Danach folgen neun Seiten mit diversen, schwer leserlichen, von verschiedenen Personen mit Bleistift geschriebenen Eintragungen über Arbeiten, Entlohnungen, Fuhrwerkdienste etc. Auch das Deckblatt und die erste Seite sind derart beschrieben - Papier war damals für den einfachen Bürger ein wertvolles Gut. Diese Eintragungen reichen bis ins Jahr 1877.
Obwohl in den nachfolgenden Eintragungen Orte aus der Umgebung erwähnt sind, ist nicht bekannt, ob Ignaz Schwanzer wieder nach Bierbaum zurückgekehrt ist. Weder in den Trauungs- noch in den Sterbematriken scheint er dort auf.
Das Büchlein wurde von Hermann Pistracher auf einem Flohmarkt erworben.
März 2015, letzte Änderung April 2024
Maria Knapp