Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at
 
(17.2.1760, Wien – 19.8.1835, Kirchberg am Wagram)
Joseph Ignaz Scheiger wurde am 17.2.1760 in Wien geboren. Sein Vater war der Perückenmacher Carl Scheiger (auch Scheicher), der seit 1752 mit Barbara Keller verheiratet war, einer Schwägerin des Musikers Joseph Haydn.
 
Scheiger Geburt 1760Der Taufeintrag zu St. Stephan in Wien 
Er wurde Priester und machte sich schon in relativ jungen Jahren einen Namen als Dichter. In den 1780er-Jahren war er regelmäßiger literarischer Mitarbeiter des Wiener Musenalmanachs. In diesen Jahren lebte Scheiger in Graz, wo er Mitglied der Freimaurerloge „Zu den gereinigten Herzen“ war. Im Jahr 1792, als er seine „Fabeln und Erzählungen“ mit 228 Seiten bei Joseph Kaspar Salzer in Wien veröffentlichte, war er Pfarrer in Laa an der Thaya.
 
1799 wurde Scheiger Pfarrer in Kirchberg am Wagram, wo er bis zu seinem Lebensende blieb, näheres dazu siehe hier. 1831 veröffentlichte er eine Gedichtsammlung, die sich zu ihrer Zeit großer Beliebtheit erfreute. Joseph Ignaz Scheiger starb am 19. August 1835 in Kirchberg am Wagram am Brand des Alters.

 

Zusammenarbeit mit Joseph Haydn

Im Jahr 1801 kamen Gerüchte auf, Haydn werde von Kaiserin Maria Theresia (2. Gattin von Kaiser Franz II.) mit der Komposition eines Oratoriums mit dem Titel „Das Jüngste Gericht“ beauftragt. Im Oktober desselben Jahres wurde dieses Projekt in einem Artikel der Allgemeinen Musikalischen Zeitung angekündigt, in dem Haydn die Absicht geäußert haben soll, Wieland das Libretto schreiben zu lassen. Aus zwei Gründen wurde dieses Projekt nie verwirklicht: Erstens begannen Haydns Gesundheit und Schaffenskraft im Alter von fast 70 Jahren zu schwinden. Und zweitens drängten ihn einige seiner adeligen Gönner, einen Auftrag der Kaiserin nicht anzunehmen. Vor allem Baron van Swieten sprach sich entschieden gegen dieses Projekt aus. Am 21. Oktober 1801 schrieb Griesinger an Breitkopf & Härtel : „Das Gerücht, Haydn komponiere das Jüngste Gericht, ist völlig unbegründet, aber es ist wahr, dass die Kaiserin ihn dazu drängen wollte.“ Am 4. November 1801 greift Griesinger dieses Thema noch einmal auf: „Die Kaiserin will noch die Komposition des Jüngsten Gerichts, aber Swieten ist sehr dagegen. Inzwischen unternimmt ein junger Dichter von hier die Bearbeitung des Textes in vier Teile: Tod, Auferstehung, Hölle, Himmel. Haydn könnte noch nachgeben; er sagt, die Idee scheine zwar roh, aber für eine musikalische Darstellung im großen Maßstabe vortrefflich zu gebrauchen.“ Zu diesem Oratorium kam es nie. Im Esterházy-Archiv ist jedoch ein handschriftliches Libretto mit dem Titel erhalten: „Das jüngste Gericht in Musik gesetzt von Herrn Joseph Haydn verfaßt von J. Ignatz Scheiger Pfarrer in Kirchberg am Wagram“.
 
Dass der Pfarrer und Dichter Ignaz Scheiger an diesem Oratorienprojekt beteiligt war, ist der Haydn-Forschung seit langem bekannt. Unbekannt ist, dass seine Mitarbeit kaum ein Zufall gewesen sein kann, denn Scheiger war ja ein Neffe von Haydns Frau.
(Quelle: Michael Lorenz, Musikwissenschaftliche Nebensächlichkeiten und biographische Paralipomena, https://michaelorenz.blogspot.com/2014/09/three-unknown-godchildren-of-joseph.html)

Gedichte und Fabeln sowie Rezensionen finden sich in vielen zeitgenössischen Almanachen und Büchern.

 

AGLAJA. Ein Taschenbuch für das Jahr 1818, Wien

Gegenwart und Zukunft.
Mit welchem Wahn, ihr Erdensöhne!
Hat wohl die Zukunft Euch bethört?
Ihr hofft das Gute, hofft das Schöne
Von ihr, die euch nicht angehört?
 
Der schöne Lenz bleibt ungenossen:
Ihr sperrt euch unter Grillen ein;
Geschäfte machen euch verdrossen:
Kann es nicht morgen stürmisch seyn?
 
Die Rose, wenn wir sie nicht pflücken,
Blüht einmahl nur in Frühlingspracht:
Des Neiders Hand kann sie zerknicken;
Ein Nord entblättern diese Nacht.
 
Nicht jetzt wollt ihr den Pfirsich essen;
Besitzt er morgen höhern Werth?
Ihr dürft ihn Einen Tag vergessen,
So hat die Fäulniß ihn verzehrt.
 
O geitzet nicht mit dem Ergötzen,
Wie karge Filze mit dem Gold,
Und denkt euch nicht erst dann zuletzen,
Wenn euch bereits der Knöchler hohlt.
 
Der Zukunft Freunde bleiben Thoren;
Die Gegenwart sey mein Genuß!
Für mich ist jeder Tag verloren,
Den ich der Freude rauben muß.
 J.I. Scheiger.
 

Fabeln

Die Kirschen.
Nur etwas höher darfst du steigen,
Rief Kunz, so sind die Kirschen dein,
Die schönen Kirschen dort, fast auf den höchsten Zweigen!
Komm nur zu mir, so will ich dir sie zeigen!...
Ich sah sie längst, fiel Michel ein:
Doch was soll ich so sehr mich plagen,
Und, des Erreichens ungewiß,
Noch Hals und Bein zu brechen wagen?
Sind die hier minder schön, so sind sie dennoch süß.
 
O sey zu sehr nicht eingenommen,
Mein schönes Kind, von deinem Werth:
Daß nicht der Wunsch, dich zu bekommen,
Vor eitler Müh‘ in Frost sich kehrt!
Auch deine Blume wird einst welken:
Dann fragt es sich wie bey den Nelken,
Lockt doch zumahl ihr süß Gedüft:
Ob, der sich die Schönste wählet,
Wenn er sich lang‘ um sie gequältet,
Zuletzt nicht auf die Schlimmste trift.
 
Der betrogene Dieb.
Bey einem  Greis, der kein Gewerb  mehr trieb,
Wo nichts im Hause war, als Noth und Jammer,
Stieg in der Nacht ein kühner Dieb
Durchs offne Fenster in die Kammer.
Sogleich erwachet er, und lacht…
Der dümmste Streich, der je hier einem Menschenkinde
Zu stehlen, rief er, Lust gemacht!...
Du suchst hier etwas bey der Nacht,
Wo ich am helle Tag nichts finde.
 
Beraubt hätt‘ ich dein leeres Buch?...
Nein, Star, nie wagt‘ ich den Versuch!
Schon durch den Ruf ließ ich mich hindern;
Dann, wo nichts ist, kann man nicht plündern.
 
Die Aufschrift.
Ein munterer Wirth sann auf sein Haus
Sich den beliebten Weidspruch aus:
Heut‘ um Bezahlung, gratis morgen!
Allein auch Tags darauf blieb dieses Sprüchlein stehn,
Und hieß euch nach dem Gelde sehn;
Nicht Wirth, noch Kellner wollte borgen.
 
Dem Sprüchlein fröhnen wohl auch die,
So in Kanzleyn und Ämtern sitzen,
Und um Bezahlung ihrer Müh
Erst sehn, eh sie die Federn spitzen.
Wer baar bezahlt, dem dienen sie;
Wer gratis etwas sucht, mag sich Geduld erborgen;
Denn immer heißt es: morgen! Morgen!
 
Der ungelegene Besuch.
Im dunklen Busch am Wasserfall
Sang die Sirene Nachtigall:
Des Jünglings Wange wurde blaß,
Des Mädchens Auge trüb und naß.
Noch lieblicher scholl unter Weiden
Drauf zu des Jünglings Lautenton
Des Mädchens Lied von Werthers Leiden;
Ich, ihr Belauscher, weinte schon.
 
Indeß hier Ohr und Herz empfand,
Stieg eine Heerde Gäns‘ an Land.
Wie zog sich jede Stirn‘ in Falten!
Die Nachtigall begann zu fliehn;
Die dummen Schnatterer aber schrien:
Wir kommen, euch zu unterhalten!
 
Verkürzt euch ein Concert, ein Buch,
Ein nützlich Lehrgespräch die Stunden
Mit einer Lust, die Gecken nie empfunden,
So melden sie sich zum Besuch.
 
Das Bild und der Spiegel.
Ein Bild, von der berühmten Hand
Des großen Raphael gemahlet,
Das Kenner theuer einst bezahlet,
Hing unbesehen an der Wand.
Dagegen ließ vor einem Spiegel
Des Junker Sohn, ein eitler Geck,
Der Lust, sich zu besehn, den Zügel,
Und stand oft Stunden lang vor ihm auf einem Fleck.
Dieß konnte das Gemähld‘ auch länger nicht ertragen;
Es bath den Spiegel, ihm zu sagen:
Was doch den dummen Tropf so sehr an ihm entzückt?
Wie kannst du, sprach der Spiegel, fragen?
Es ist sein Bild, das er in mir erblickt.
 
O solcher Leute kenn‘ ich schon so manches Hundert,
Drum kommt es mir so wunderlich nicht vor.
Weißt du den nicht, daß jeder Thor
Nichts auf der Welt so sehr, als sich, bewundert?
 
Die Complimente.
So wahr oft Höflichkeiten sind,
So vielmahls sind sie leerer Wind.
Willst du Erklärungen vermeiden,
So lerne selbst sie unterscheiden.
 
Das ist was Seltnes, sprach Philen,
Daß Sie uns Ihren Zuspruch schenken!
Sie lassen stets ein Jahr vergehn,
Eh Sie an Ihre Freunde denken…
Es wird wohl nicht so lange seyn,
Fiel hier Philen zutraulich ein,
Als Sie, … mir hochgeneigt, --- zu sagen pflegen,
Ich komme nicht gern ungelegen;
Drum ist mir’s wenn’s nicht oft geschah,
Viel lieber, daß man mich als Seltnen grüße,
Als wenn’s im Nebenzimmer hieße:
So hat der Teufel ihn schon wieder da!
 
Der Verweis.
Der kleinen Tochter Unruh stillte
Amalia getrost, und hüllte
Die Puppe warm im Bettchen zu;
Da kam die Mutter angestiegen:
Recht artig, sprach sie, tändelst du.
Du zählst jetzt dreyzehn Jahr, soll ich doch nicht auch dich wiegen?
Vor Scham ward hier das Mädchen roth;
Die Zofe nur hielt sich mit Noth,
Nicht über den Verweis zu lachen.
Ihr fielen all die Spielereyn
Der Frau Mama nun selber ein:
Die Döschen, künstlich aufzumachen;
Der Spiegel in dem Fingerhut;
Der Goldring, zum Bespritzen gut;
Die Sackuhr mit dem Damenbrettchen;
Der Büchschen- und der Fächerkram;
Und, was sogar die Kind höchst ekel nahm,
Der Floh an einem goldnen Kettchen.
 
Spiel‘ immerhin, mein gutes Kind;
Da Ältre größre Kinder sind!
 
Der Hahn und die Henne
Ein Brot, das halb verhärtet war,
Hatt‘ ich in Würfel klein zerschnitten,
Und lockte meiner Hühner Schaar,
Zu sehn, wie sie darum sich stritten.
 
So freut ein guter Vater sich,
Kann er den lieben Herzenskindern,
Nun sein verwandter Filz erblich,
Den steten Trieb der Eßlust lindern.
 
Scharf war hier jeder Schnabel dran,
Dem Nachbar seinen Theil zu nehmen;
Nur der von allen stärkre Hahn
Schien gleicher Habgier sich zu schämen.
 
Er hielt sich bey dem Streit in Ruh:
Wer sollte dieß nicht Großmuth nennen?
Warf ich auch seinen Theil ihm zu,
Ließ er auch den noch seinen Hennen.
 
Erkennt, die ihr auf Euch nur seht,
Und fremde Wünsche nicht versteht,
An Hand den Edelsten der Triebe;
Die häuslich zarte Gattenliebe
Nur sie, und nur der Ehstand lehrt:
Wie man für Andre gern entbehrt.
 
Die Frösche.
Die Frösche quackten, und ich fragte:
Ob dies nicht heitre Dichter sind?
Mein Freund, ein Rathsherr, aber sagte:
Sie halten Sitzungen, mein Kind!
Ein Baccalaur hört‘ uns parliren.
Er thut mir, sprach er, wirklich leid,
Daß ihr so fremd im Hörsaal seyd:
Sonst sagtet ihr: Sie disputiren.

 

Blätter für literarische Unterhaltung, 1832, Monat Juli

Gedichte von Joseph Ignaz Scheiger. – Wien, Sollinger, 1831
Dieser südostdeutsche Schöngeist, der das Horazische: „Et prodesse volunt et delectar poetae“ (Anm: Und sie wollen den Poeten Nutzen und Freude bereiten.), seinem Werke als Motto voranstellt, strebt, das Leben in der Außenwelt wie im Mikrokosmos der Menschenbrust zu erforschen und in poetisches Wort zu gestalten; aber er betastet es mit einer zu rohen Hand, sodaß er größtentheils den zarten, duftigen schimmernden Staub von der Fläche wischt und Psyche’s sonst farbenreicher Flügel in einem matten, dünnen, durchsichtigen Grau sich uns zeigt. Wir finden also viele Reimerei, d.h. Alltagsgedanken und dagewesene Empfindungen in Reim und Rhythmus gestaltet, und wer sich auf so etwas nur brav einübt, kann so viele Gedichte machen wir Hr. Scheiger, und deren Anzahl ist wahrlich nicht klein, denn wir zählen acht Bücher auf 403 Seiten. Erstes Buch: ein Viertelhundert (gewöhnlicher) Oden; zweites: ebenso viele (hausbackene) Empfindungen; drittes: ebenso viele Gemälde (mit Wasserfarben auf dünnes Papier gemalt); viertes:  26 (gutgemeinte) geistliche und moralische Gedichte; fünftes: ein Viertelhundert (passable) lyrische Gedichte; sechstes: 28 erotische Gedichte (die größere Zahl dieses Abschnittes deutet vielleicht auf verliebte Complexion); siebentes: ein Viertelhundert gastronomischer (eheu jam satis satis est!) (Anm: Leider ist genug genug!) Gedichte, und achtes: 25 Bacchische (man kennt sie ja!) in Summa 204 Gedichte. Aber noch nicht genug: Es heißt in der Vorrede: „Bei der Herausgabe dieser Gedichte habe ich bloß zu bemerken, daß sie nicht den vierten Theil meiner poetischen Arbeiten ausmachen; und von ihrer Aufnahme wirdes abhängen, ob auch letztere ihnen nachfolgen sollen.“ Wir müssen diese Aeußerung geradehin als Drohung betrachten und den firfingerigen, gar zu rüstigen Apollojünger höchlich bitten, doch ja die übrigen 600 poetischen Ergüsse in seinem Pulte ruhen zu lassen und sich selbst daran zu ergötzen, da der deutsche Parnaß schon mit derlei Gaben überfüllt ist.

 

Wiener Zeitung vom 12.7.1833 Seite 14

Im Verlage der J.P. Sollinger’schen Buchdruckerey (in der oberen Bäckerstraße Nr. 722, im Durchhause zum schmeckenden Wurm), sind erschienen, und durch alle Buchhandlungen der Oesterr. Monarchie zu beziehen:
Gedichte von Joseph Ignaz Scheiger.
Wien 1831. 8. 411 Seiten stark, brosch. 1 fl 36 kr C.M.
Der Herr Verfasser theilt seine durch Geistesfülle und Humor auszeichnete Dichtungen in Oden, Empfindungen, Gemählde, geistliche und moralische, satyrische und scherzhafte, erotische, gastronomische und bachische ein, die er nach vieljähriger Feile und Prüfung dem Urtheile des gebildeten Publicums vorlegt. Die rühmlich bekannte Zeitschrift „Feierstunden“ sagt in einer ausführlichen Beurtheilung dieser Gedichte unter Anderem: „Wir brauchten von diesen Dichtungen nur einige Seiten zu lesen, um jedes Vorurtheil abzulegen, um in denselben ein rein menschliches Gefühl, gediegene Ansichten des Lebens; und den immer jungen Geist eines an Erfahrungen alten Dichters zu finden. Scheiger’s Gedichte zeichnen sich zwar nicht so sehr durch Kraftüberfluß und gemüthliche Weisheit, aber durch logische Richtigkeit und Gedankenfülle aus: ein Umstand, der vielen trefflichen Dichtungen den Beyfall der Kenner und aller guten und unverdorbenen Menschen, welche Natur und Wahrheit noch lieben, immerdar sichern wird.“
Es ist dem Publicum wirklich nichts als eine größere Bekanntschaft mit diesen Dichtungen nöthig, und es ist kein Zweifel, daß es ihnen den erwünschten Beyfall schenken wird.
Feierstunden für Freunde der Kunst, Wissenschaft und Literatur, Hrsg. D.S. Ebersberg, 1833

 

Vaterländische Poesie.

(Gedichte von Joseph Ignaz Scheiger) Als wir diesen recht artig ausgestatteten Band Dichtungen zur Hand nahmen, und die originellkurze Vorrede aufschlugen, welche nichts als die Worte enthält: „Bei der Herausgabe dieser Gedichte habe ich bloß zu bemerken, daß sie nicht den vierten Theil meiner poetischen Arbeiten ausmachen; und von ihrer Aufnahme wir es abhängen, ob auch letztere ihnen nachfolgen solle,“ – da ward uns bange, denn war sehen schon, wie Macbeth die königliche Ahnenreihe, die dicken Bände der folgenden Reimgeschlechter und zitterten bei dem Gedanken, sie pflichtgemäß lesen zu müssen. So allgemein ist die Abneigung der Welt von Heute gegen Verse und Reime, daß selbst der unparteiische Recensent, von der epidemischen Versescheu mitergriffen, zu verdammen geneigt scheint, wo noch nicht untersucht worden ist. Abbitten müssen wir dem uns unbekannten Verfasser, der, ein Waldvogel, in ländischer Einsamkeit (zu Kirchberg am Wagram) seine Gesänge erschallen läßt, die geringe Erwartung, mit der wir seinen Gedichten entgegen gekommen. Wir brauchten aber nur wenige Seiten zu lesen, um in diesen Gesängen ein rein menschliches Gefühl, gediegene Ansicht des Lebens, den immer jungen Geist eines an Erfahrungen alten Dichters zu finden. Das einzige lyrische musterhafte Gedicht „an Oesterreich“ hätte hingereicht, um dem edlen Sänger unsere Stimme zu gewinnen. Seine Gedichte zeichnen sich nicht so sehr durch Kraftüberfluß und Weichheit des Gemüthes, als durch Gediegenheit in den Ansichten und Gedankenfülle aus. Der Mangel der letzteren eben und der verwünschte Wahn, daß Jeder, der „Wonne“ und „Sonne“ reimt und klingende Worte auf’s Papier fallen lassen kann, sich einen Dichter schilt und zu dem Druckleierkasten springe – das ist die Ursache des schmerzlichen Standes der Sänger heutiger Zeit. Sie habe gut singen; die von Stümpern gereizte, oder durch Frivolität und Selbstsucht allem Kunstgefühl entfremdete Welt hat dem poetischen Tonreich die Ohren mit Wachs geschlossen: ein Los, das die im Ladenpreise etwas hoch stehenden 

 

Feierstunden für Freunde der Kunst, Wissenschaft und Literatur, 1834

Leserbrief von Ignaz Scheiger
 
Ankündigung der Fabeln und Erzählungen von Joseph Ignaz Scheiger.
Verehrtester Herr Redacteur! Die jetzt in Gang gekommenen Pfennig- und Hellermagazine haben zwar das Gute, daß sie gemeinnützige Kenntnisse unter dem ärmeren Theil der Nation verbreiten, ob sie gleich nichts Neues liefernd, bloß Auszüge aus der Naturgeschichte, Geographie und Lebensbeschreibungen sind, und so der Holzschnittbilderchen recht sehr bedürfe, um mageren Beschreibungen von Kirchen, Rathhäuser, Thierkämpfen und anderen Vorfällen einiges Interesse zu verschaffen; aber den Fortschritten des menschlichen Geistes in allen wissenschaftlichen Fächern thun sie großen Abbruch; denn wenn dieß so fortgeht, so muß alle Schriftstellerei aufhören, und alle guten Köpfe, die sonst originelle Aufsätze lieferten, müssen, weil sie bei der Herausgabe ihrer Werke den Preis derselben nicht so gering ansetzen können, daß er mit jenen Magazinen gleichen Schritt hielte, es sich gefallen lassen, entweder gar nichts mehr zu schreiben, oder zu erwarten, daß ihnen ihre Werke liegen bleiben, und sie bei selben nicht nur allen gehofften Gewinn, sondern auch ihre eigenen Auflagskosten einbüßen. Dieser Stillstand alles Denkens wird freilich erst fühlbar werden, wenn den Magazinen der Stoff zu der, ihren Lesern verschafften wohlfeilen Lectüre ausgeht, und sie nebst dem daß sie einander abschreiben, in’s Matte verfallen; aber das Vergehen, daß sie allen neuern Geisteserzeugnissen ihr Fortkommen in der Welt verschlossen, oder ihnen sogar den Eintritt in das Leben geraubt haben, wird alsdann auch nichts herbeiführen, als die Unwissenheit und Barbarei der finstern Jahrhunderte, die so lange den guten Geschmack unterdrückte, und der gefesselten Vernunft ihre Wirksamkeit entzog. In diese, für die Schriftstellerei so unglücklichen Zeiten bin auch ich verfallen; denn da ich mich von Jugend auf mit allem Fleiß auf die Poesie, der ich alle meine von den Berufspflichten erübrigten Stunden geweiht, verlegte, aber auch mit meinen Geistesproducten nicht eher an’s Licht treten wollte, als bis ich sie für reif hielt, so entschloß ich mich erst in meinem zwei und siebzigsten Jahr (1831) einen Theil davon unter dem Titel „Lyrische Gedichte von Joseph Ignaz Schieger“ herauszugeben. Aber ungeachtet des ihnen ertheilten Lobes, schreibt mir doch mein Verleger: „daß man jetzt nur die allgemein für classisch anerkannten Gedichte, wie die eines Uhland, Zedlitz, Auersperg ec. kaufe, auf alle neueren aber, leider ohne Prüfung mit der größten Gleichgiltigkeit herabblicke. „So lange,“ fährt er fort „Sie nicht durch Einsendungen in geschätzte Zeitschriften und durch Correspondenzen mit der gelehrten Welt dem Publicum bekannter werden, was, da Ihre Gedichte Ihr erstes Werkchen sind, das sie der Öffentlichkeit übergeben, und bei Ihrer Abgeschiedenheit von allen berühmten Literatoren jetzt nicht möglich ist, so lang ist Ihren Gedichten kein größerer Absatz, und mithin auch keine größere Verbreitung zu versprechen. Wenn aber dies geschehen sein wird, so ist kein Zweifel, daß sie besprochen und recensirt, jene Würdigung erhalten werden, die sie mit so vielem Rechte verdienen.“ Aber jetzt, wo man lieber eine Gartenblume um 60 – 70 fl, als Geistesblüthen, und wenn sie auch einem Horaz und Anakron gleich kommen sollten, um so viel Kreuzer kauft, ist gleichwohl für meinen Wunsche, auf dem Parnaß einen ehrenvollen Platz zu erringen, wenig Aussicht. Doch da sich unter so ungünstigen Umständen kein origineller Kopf, am wenigsten aber ein Dichtertalent entschließen wird, dem Bestreben nach einem Lorbeer nicht nur seinen vieljährigen Fleiß, sondern auch sein Geld zum Opfer darzubringen, so bin ich wirklich, wie Brutus als der letzte Römer, als der letzte Dichter zu betrachten, und in dieser Hinsicht mag ich doch meine Poesien den noch so wenigen Schätzern der Musen, denen die Welt vorzüglich ihre feinere Bildung zu verdanken hat, und der vielleicht gerechteren Nachwelt nicht vorenthalten, und so bin ich gesonnen, auch meine Fabeln und Erzählungen, denen die Sinngedichte folgen sollen, nächstens in Wien in einem Band erscheinen zu lassen. Die Vorlegung einiger Muster, damit das Publikum selbst beurtheilen kann, ob des Autors Genius ihm zusagt, ist für selben immer vortheilhafter, als das größte ihm in einer Recension ertheilte Lob. So sehr ich darum gewünscht hätte, daß der Hr. Herausgeber der Feierstunden einige meiner lyrischen Gedichte, z.B. „an Österreich, deutsche Benennung der Monate, an die Ruh‘, Zeit und Raum,“ in selben als Proben vorgelegt hätte, eben so sehr bitte ich denselben, die Fabeln und Erzählungen Joseph Ignaz Scheiger’s dem Publikum im Voraus anzukünden, und zu diesem Behufe einige derselben in die Feierstunden aufzunehmen. Dies Redaction würde dadurch beitragen, die Welt mit einem Dichter bekannt zu machen, der gewiß ein besseres Schicksal verdient, als, sie eine gleich beim Entstehen verwelkende Blume, in die Nacht der Vergessenheit begraben zu werden. Und so verbleibe ich in der süßen Hoffnung, keine Fehlbitte zu thun, des verehrtesten Herrn Herausgebers der Feierstunden.
Ergebenster
Ignaz Scheiger
Pfarrer zu Kirchberg am Wagram.
 
Hector und Spitz.
Spitz, morgen speisest du bei mir,
Sprach Hector, und das sag‘ ich dir,
Recht gut! Mein Herr wird Hochzeit halten:
Die Tafel wird da nie erkalten:
Schon sind mit Hasen, Federvieh,
Kapaunen, Torten und Pasteten
Die Speisekammern angefüllt.
Zweihundert Gäste sind gebeten:
Da stelle dir nun selbst die fetten Bissen vor.
Die Manche bloß, weil sich die Eßlust schon verlor,
Um Ihrer los zu sein, den Hunden geben;
Wir werden, wie die Fürsten leben.
„Wenn zwei die Glocke schlagen wird,“
Sprach Spitzchen, „werd‘ ich mit Vergnügen,
Mich in den Hochzeitssaal verfügen,
Doch es verstehet sich, von dir hineingeführt.“
Der Morgen kam die Köche schwitzten,
Und während das beglückte Paar
In Kleidern, die von Golde blitzten,
Sich Treue schwor am Traualtar,
Beschäftigte mit Tafeldecken
Zu Haus ein Schwarm von Dienern sich,
Und obgleich Spitz sich zu verstecken,
Stets hinter seinem Hector schlich,
So war er ihnen doch im Wege.
„Was will das Mistvieh hier? Gehört der Hund in’s Haus?“
„Nein,“ hieß es, und nun gab es nicht nur Schläge,
Das Fenster öffnet sich, und Spitzchen flog hinaus.
 
Nie soll zu keck den Hausherrn spielen,
Der dort nur einen Dienst versieht:
Sonst kann sich leicht beleidigt fühlen,
Der ihn wohl kennt, den Unterschied.
Nie sollst du den Verwandten laden
Denn Launenkinder sind die Gnaden
Oft, die du dir versprochen hast,
Wo Frost in Blick und Wort dich lehret,
Wie wenig Geiz und Hochmuth ehret
Den keineswegs verlangten Gast.
 
Das Mädchen und die Schnacken.
Ein Mädchen ging durch eine Au;
Gleich war ein ganzer Schwarm von Schnacken
Es zu verfolgen, gar nicht lau:
Die schwärmten um den weißen Nacken.
Die stachen an der Stirn es wund,
die schonten nicht den Rosenmund,
die schwärmten um die schönen Augen,
und jene wollten Blut aus seinen Armen saugen.
Vergebens rief es ihnen zu:
Wißt ihr sonst nichts, als mich zu plagen?
Sie ließen ihm doch keine Ruh‘,
und lieber häufig sich erschlagen.
 
Den Schnacken halt‘ ich es zu gut,
Sie nähren sich einmal von Blut!
Doch wer aus Muthwill Andere quälen,
Und sich darüber freuen kann,
Der hat ein böses Herz, dem darf nur Macht nicht fehlen.
So ist er sicher ein Tyrann.
 
Das Kameel.
Ein brav Kameel lag auf den Knieen,
Bis man die Ladung hergebracht.
Die Karavanenführer schrieen,
„Acht Centner sind ihm zugedacht.“
Schon viel für die so weite Strecke,
Doch ging’s just gut mit dem Verkauf,
So packt man ihm noch ein Paar Kisten auf.
Und nebst dem noch auch die vier Säcke.
Wo aber blieb die Klugheit hier?
Wie sollte sich das Thier erschwingen?
Nichts konnt‘ es auf die Beine bringen;
Und lud man über die Gebühr
Ihm auf, so muß man sich bequemen,
Ihm all das wieder abzunehmen.
 
Wer schwelgend nur von ihrer Frucht,
Der Arbeit Bürden nie versucht,
Kann Untergebnen leicht befehlen,
Für ihn damit sich tott zu quälen.
Gern lernt ein wohlerzogen Kind,
Und wird nicht vor dem Lehrer bangen,
Nur müßt ihr auch nicht zu geschwind
Der Ältern Leistungen verlangen.
 
Man soll bei Wetterschäden nicht
Das Pachtgeld allzu streng erpressen;
Es soll die Handvoll Krieger nicht
Mit einem halben Heer sich messen;
Kurz, was Euch mein Kameel hier lehrt,
Ist, daß, wie Macht, die Ohnmacht schützet,
Und daß es ganz gewiß nichts nützet,
Wenn man Unmögliches begehrt.
 
Die Winterfahrt.
Halb war gedeckt nur die Kalesche,
In welche Graf und Gräfin fuhr:
Der Wind, der schon entlaubt die Esche,
Was itzt schon kälterer Natur.
Ich auch mitfahrend, saß zurück,
Da hatt‘ ich ihn nur im Genick,
Doch mehr war, was das Ehpaar fühlte,
Der Zobelpelz selbst schützte nicht
Mehr, als das Kinn, das er umhüllte,
Der Wind blies ihnen ins Gesicht.
Sie froren sich drum halb zu tott,
Die Augen naß, die Nasen roth.
 
Dich aber, Lüsterner nach Ehren,
Als wären sie der größte Schatz,
Kann dieß Geschicht’chen Wahrheit lehren,
Die nämlich: daß der mindre Platz
Dich manchen Vortheil kennen lehrt,
Den der geheerte Stolz entbehrt.
 
Fritz und sein Hund.
Zween Hunde fielen sich gleich an,
Bald sie sich auf der Gasse sahn.
Da wollte Fritz jüngst zürnend wissen,
Warum sie sich herumgebissen,
Und wie sich dieser Haß entspann?
Doch seht, auf alle diese Fragen,
Weiß von dem Gegner ihm sein Hector nichts zu sagen,
Als daß er ihn nicht leiden kann.
 
Sagt, regt sich nicht in unsern Adern
Auch oftmals ein gleich hitzig Blut?
Sagt, wissen wir in unserer Wuth
Es vielmal auch, warum wir hadern?
 
Zusatz von der Redaction.
Von diesen fünf Fabeln, welche wir als Probe abdrucken ließen, können die Leser auf den Geist und Gehalt des Ganzen schließen, ohne daß wir die nicht immer angenehme Pflicht eines Recensenten erfüllen. Wir fügen bloß bei, daß der Hr. Verfasser einer der edelsten und besten Menschen unserer Zeit ist, daß er die Poesie zu seinem unschuldigen Zeitvertreibe und noch im 75. Lebensjahre treibt, daß wir daher dem guten Greise recht herzlich die Freude wünschen, seine Fabeln günstig aufgenommen zu sehen. Was nun vor allen ihre „sittliche Seite“ betrifft, so können wir’s verbürgen, daß man zur Stärkung des Gedächtnisses, zu Übungen im Vortrage u. dgl. nicht bald ein schuldloseres und zweckmäßigeres Werk wählen könnnte.    Ebersberg.

 

Innerösterreichisches Stadtleben vor hundert Jahren
Dr. Anton Schlossar

Eine Schilderung der Verhältnisse in der Hauptstadt Steiermark im achtzehnten Jahrhundert
Zugleich Beiträge zur Literatur- und Culturgeschichte
Wien 1877
.. Das nächste dichterische Talent, dem wir begegnen, ist J.I. Scheiger, dessen Namen wir schon im Jahre 1786 im “Wiener Musenalmanach“ begegnen. Seine Lebensumstände sind unbekannt, er ist es vor Allen, der sich neben Kalchberg in der Fabeldichtung versuchte und die Bahn einschlug, welche Gellert zuerst mit so großem, durchschlagendem Erfolge betreten, auf welcher dem berühmten Leipziger Poeten sodann Pfeffel, Lichtwer, u. A. folgen. Scheiger’s Fabeln zeugen von Schlagfertigkeit, wenn auch die witzige Seite derselben oft etwas seicht erscheint. Einige Beispiele folgen, zuvörderst eine Fabel aus dem erwähnten „Wiener Musenalmanach“ (die einzige Fabel, welche sich überhaupt darin befindet).
 
Der Löw und der Bär.
Der Löw find einen Rehbock sich:
Ihm will der Bär ihn streitig machen.
Ihr Streit war scharf und fürchterlich,
Wie wenn im grossen Circus sich
Die Kämpfer Roms die Hälse brachen.
Doch armer Bär, du bist zu schwach!
Sey noch so stark in kleinern Kriegen,
Dem Löwen mußt du doch erliegen.
Schon floß sein Blut, gleich einem Bach.
Er fühlt’s und eilet aus dem Streite,
Mit wundem Kopf, mit wunder Seite.
Zog er sich brummend fort und sprach:
Ich geh‘ -- der klügere giebt nach.
Dran mögen sich zwei Fabeln schließen, die den „Früchten vaterländischer Musen“ entnommen sind.
 
Der Kirschbaum.
Ein Kirschbaum stand von Kirschen schwer,
Und Vögel schwärmten um ihn her,
Gesang erscholl aus allen Zweigen.
Doch, was sie lange baß entzückt,
Die Kirschen wurden nun gepflückt –
Da sahen sie, statt dankbar sich zu zeigen,
Den  nackten Baum verächtlich an:
„Du, der uns nichts mehr geben kann,
Leb wohl!“ Sie zohen hin und suchten einen andern.
Uns, Freunde lehrt ihr treulos Wandern,
Daß der, dem’s nie an Golde fehlt,
So viele gute Freunde zählt;
Die, hat er nichts mehr herzugeben
Ihn ihrer Freundschaft – überheben.
 
Das Kamel.
Von schweren Bürden wundgedrückt,
Durch keinen Quell,
Durch kein Weid‘ erquickt,
Und nie gelobt von kühlen Schatten
Mußt‘ ein gemartertes Kamel
Durch dürren heißen Sand, durch öde Steppen waten,
Und sank die Sonne, seine Pein;
So schlief es unter Lasten ein.
„Mußt (schrie ein fröhlich Vögelein
Von Mücken satt, stolz auf die leichten Schwingen)
Mußt lustig, rasch, und munter seyn,
Und standhaft dulden deine Noth,
Weils so gefällt dem lieben Gott! –
So sprachs und fing von neuen an zu singen.
So heißt der satte Mönch mit gänzlichen Vertraun
Den Armen auf die Vorsicht baun.
 
Auch lyrische Poesien Scheigers finden sich, sehnsuchtsvolle Klage tönt durch dieselben; zum Theile machen sich diese Dichtungen durch ihre Formgewandtheit bemerkbar, wie etwa das nachstehende Gedicht:
Sehnsucht.
Der Frühling umlächelt die Mutter Natur,
Bestreuet mit Blumen die grünende Flur.
Es glühen die Rosen dem Morgenroth gleich,
Nur meine hinwelkende Wange ist bleich!
 
Die Frühlingsluft wehet, der Bergschnee zerrinnt,
Laut tanzen die Wellen zum sausenden Wind,
Das Bächlein im Thale durchschlängelt die Bahn,
Ich schleiche nur trauernd den Hohlweg hinan.
 
Es laden die Sänger im schattichten Hain
Mit jubelnden Tönen zur Liebe sich ein,
Und flattern auf nickenden Zweigen herum:
Ich horche den Liedern – bleib düster und stumm.
 
O blüht nicht, ihr Blumen, o tanze nicht, Bach,
O fliegt mir ihr singenden Vögel nicht nach;
Ihr könnt mir nicht heitern den traurigen Sinn,
Mir zögen zu einsam die Tage dahin.
 
Die Anfangs- und Schlußstrophe aus der Ode „Der Dichter“, in der auch Scheiger das antike Metrum anwendete, finde zum Schluß noch hier ihren Platz.
 
Aus Morgenschimmer schaffet, aus Frühlingsduft
Des Dichters Seele Gott, wenn entschweben er
Sie heißt dem Reich der Möglichkeit und
Ueber sie Fülle des Lebens ausgeußt. --
 
Ward sie mir nicht, die hohe Begeisterung?
Ward mir Gefühl für Schönheit und warmes Herz,
Daß oft die Fittige mir schwellen,
Auch ich zu wagen, den Flug des Dichters!

 

Archiv für Geschichte des Buchwesens

Herausgegeben von der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e.V., Band 27, 1986 Frankfurt am Main
Joseph Ignaz Scheiger, der aufgrund seiner Beiträge im Wiener(ischen) Musenalmanach, den Früchten vaterländischer Museen, dem Almanach Apollonion sowie seiner eigenen, 1792 publizirten Sammlung zu den bedeutendsten österreichischen Fabeldichtern gezählt werden muß, war bereits 1849 aus dem literaturhistorischen Bewußsein getilgt. Vergleichbar ist Scheigers lehrhaftes Gedicht zumindest in einem Punkt mit Schillers berühmter Ballade: beide Texte erschienen erstmals in Musenalmanachen.

 

Marco Schöller (Hg.), Ein Sortiment aus allen Himmeln

Orientalismus in der deutschsprachigen Dichtung:
Ein Lesebuch 1829 – 1835, 2023
In dieses erst 2023 erschienene Buch wurde ein Gedicht Scheigers aus seinem Gedichtband von 1831, sechstes Buch, erotische Gedichte, Seite 298, aufgenommen:
 
Die Entstehung des Harems
Welcher Gottheit einer Schönen
Soll auch Achmets Liebe frönen,
Dem bereits ein dichter Bart
Wange, Kinn und Lippe decket,
Und der manchen Seufzer wecket,
Wenn er Wort‘ und Tinte sparrt?
 
Schwärmt das Loblied seiner Musen
Um des Blondchens Lilienbusen,
Um den zarten Rosenmund?
Oder bohrt mit Feuerblicken,
Statt nur Beifall auszudrücken,
Ein schwarz Aug‘ ihn in den Grund?
 
Machet Red‘ und Pulsschlag stocken
Reichtum oder Kastanienlocken,
Die der Schmuck der Braunen sind?
Oder hat sein Herz erfahren,
Dass sogar mit roten Haaren
Einnimmt ein sonst zartes Kind?
 
Träumerisch und unentschlossen
Lag auf’s Ruh’bett hingegossen
Der lieb’kranke Jüngling da;
Als er, was kein Ausdruck malet,
Sich von Rosenlicht umstrahlet,
Sich von Glanz umleuchtet sah.
 
Bisam- und Lavendeldüfte,
Süßer als sie Frühlingslüfte
Je durchwürzt, umströmen ihn;
Und der Gott mit Pfeil und Bogen
Pflanzt, auf selben angeflogen,
Leibhaft vor sein Bett sich hin.
 
„Jüngling“, sprach er, „ausgelitten
Hast du, und alle deine Bitten
Sind vom Liebesgott erhört!
Nur dem Wankelmut der Bösen
Zürnend, kommt er dir zu lösen
Zweifel, die dein Glück gestört.
 
Aus zehn schönen sollst du wählen.
Und stets wird dir etwas fehlen,
Die du aussuchst! Nimm mein Sohn,
Dass ihr Lob vereint erschalle,
Nimm zu Weibern sie drum alle,
Werd‘ ein zweiter Salomon!“
 
Achmet lag auf seinen Knieen,
Hält es noch für Phantasieen,
Was er sieht, was hört sein Ohr;
Nur bereit, gleich nachzuleben
Einem Rat, den im gegeben
Auch sein Herz, wie Cipripor (Amor).
 
Doch von Eifersucht ergriffen,
Wie vom Sturm, der auf den Schiffen
Oft das Takelwerk zerreißt
Lässt er auch für seine Frauen
Ein Gyneceum (Frauengemach) sich bauen,
Das er dann sein Harem heißt.
 
Seitdem lässt man sich im Osten
Viel die Pracht desselben kosten,
Nur dass es kein Mann besucht;
Denn es straft mit Blitzes Schnelle,
Dolche und Säbel auf der Stelle
Ihn, entkommt er nicht durch Flucht.
 
Eingesperrt weih’n die Schönen
Sich bei süßen Saitentönen
So der Tanzkunst und der Kunst,
Anzuzieh’n durch Reiz, und suchen,
Scharf bewachet von Eunuchen,
Nur bloß ihres Sultans Gunst.

 

LibriVox

In einer Sammlung von 20 Gedichten bei LibriVox steht sein Gedicht „Amor in der Einsamkeit“ zwischen Werken von Dichtern wie Theodor Fontane und Heinrich Heine.
 
 
Oktober 2024
Maria Knapp