Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at

In den 50er-Jahren, als es nach dem 2. Weltkrieg wirtschaftlich wieder aufwärts ging und mittlerweile  alle Orte an das Stromnetz angebunden waren, kamen die Gemeinschaftstiefkühlanlagen auf. Innerhalb weniger Jahre hatten alle umliegenden Orte ihre eigenen Räumlichkeiten mit solchen Truhen. Dies war auch den Tullner Bezirksnachrichten am 5.7.1958 einen Artikel (gekürzt) wert: 


Die folgenden Zeilen sollen ein Versuch sein, der Entstehungsgeschichte der Tullnerfelder Tiefkühlanlagen nachzugehen.

Und da ergibt es sich – für Berichtigungen sind wir gerne dankbar – dass Neustift im Felde als erste Gemeinde aufscheint, die nach dem Kriege eine gemeinschaftliche Tiefkühlanlage errichtet hat. Und man weiß zu berichten, daß die Anlage 'wie alles Neue anfangs einer geteilten Aufnahme' begegnet. Und heute? 'Die Bauern sind recht zufrieden mit dieser Einrichtung!'

Aus dem Bereich Kirchberg a. Wagr. sind drei Anlagen zu melden: in Dörfl, Mitterstockstall und Oberstockstall. Wir sehen: gerade die kleineren Siedlungen sind für solche Tiefkühlanlagen prädestiniert und wir werden in diesem Artikel auf das Warum und auf das Wie der Durchführung noch zu sprechen kommen.

Weiter geht die Zeit, und eine Tiefkühlanlage nach der anderen wächst – buchstäblich – aus dem Boden. Schon 1956 nimmt Mallon eine Tiefkühlanlage mit 24 geteilten Truhen in Betrieb, im Juli 1957 folgt Engelmannsbrunn mit 16 großen und 44 halben Truhen.

Eine ziemlich billige Sache wurde für die Genossenschaft Utzenlaa ihre Anlage: die große Truhe kostete nur 4600 S, die kleine Truhe 2550 S, dazu kommt noch, daß der Zug- und Zureichungsdienst von den Genossenschaftsmitgliedern unentgeltlich geleistet wird. Bravo, vorbildliches Utzenlaa.

Bierbaum am Kleebigl weiß über eine sehr originelle Lösung des Problems Tiefkühlanlage zu berichten: 'Am 30.10.1957 wurde in hiesiger Gemeinde ein neuerbautes Gemeindehaus, welches als Zweckbau errichtet wurde, im Beisein des Herrn Landesrates Johann Waltner und des Herrn Bezirkshauptmannes Goldberger seiner Bestimmung feierlich übergeben. Dieser Bau enthält unter anderem auch einen eigenen Raum, in dem von der Fa. Astra in Wien eine Tiefkühlanlage mit 20 Tiefkühltruhen errichtet wurde. Eine Truhe faßt das aufgearbeitete Fleisch eines 150 Kilo schweren Schweines…'

Wir sind also – und das ist sehr gut so! – so weit, daß man bei modernen zweckgebauten Gemeindehäusern schon auf die Notwendigkeit einer Tiefkühlanlage Bedacht nimmt, und das sollte überall zum  Vorbild dienen. Die Tiefkühlanlage ist ebenso wichtig wie Gemeindeamtsräume, und sie kann ebenso wie diese schon im Bauplan vorgesehen werden.

Auch Kollersdorf schuf im Hause der Milchgenossenschaft eine Tiefkühlanlage, die erwähnte 'Ehe' macht also anscheinend allerorts Schule. Hier arbeitet die Anlage gleich für zwei Orte: für Kollersdorf und Sachsendorf, und  'die Gestehungskosten wurden privat aufgebracht'! Bravo!

Besonders gründlich bereitete Königsbrunn am Wagram die Anlage vor: mit Besichtigungsfahrten, Fachvorträgen, Prüfung der Kostenvoranschläge u.v.a.m. Der überaus aufschlußreiche Bericht bringt auch eine Aufstellung über die Rentabilität: 'Interessant scheint eine Zusammenstellung der Rentabilität, die errechnet wurde auf Kühlgutgesamtmenge und Stromverbrauch innerhalb eines halben Jahres. Die Verteuerung der durchschnittlichen Normalkühlung von 2 Monaten beträgt da S 1,- pro kg Kühlgut, also, eine rentable, einwandfreie, wirtschaftliche Maßnahme.' 1 Kilo Kühlgut kostet S 1,- Kühlung (auf 2 Monate berechnet). Das sind Zahlen, die jeder Landwirt ohne weiteres in sein Budget einkalkulieren kann.

Auch Ottenthal kann für 1957 die Eröffnung einer Tiefkühltruhe melden; ausgeführt wurde dieses Projekt in Gemeinschaftsarbeit der Gemeinde. …Desgleichen meldet auch Winkl noch für 1957 eine Anlage. 

Wie fängt man‘s an?
Greifen wir aus der dankenswert großen Zahl der Anregungen jene aus Groß- und Klein-Wiesendorf heraus und verfolgen wir in ihnen die Reihenfolge der Vorgänge, die bei der Vorbereitung einer solchen Anlage wichtig sind:

  1. Auflegen oder Rundsenden einer Interessentenliste (womöglich mit vorheriger Klärung eines eventuellen Grundstückes oder Gebäudeteiles für die Errichtung der Anlage).
  2. Einberufung einer  Interessentenversammlung, bei der schon die Kostenvoranschläge von Firmen  besprochen werden.
  3. Bei dieser Versammlung  womöglich ein Fachvortrag über technischen, praktischen und  vorteilsmäßigen Teil der Anlage.
  4. Konsistierung einer „Tiefkühlgemeinschaft“ und Wahl der Leitung (anschließend Meldung an die Vereinsbehörde).
  5. Gemeinsame Besichtigung  von nahegelegenen Anlagen.
  6. Durchberatung der Finanzierung, Einleitung der nötigen Genehmigungsschritte bei den zuständigen Behörden.
  7. Auswahl des geeignetsten Kostenvoranschlages, Erteilung des Auftrages, Errichtung und  Kommissionierung des Baues.

Das wäre also in wenigen Strichen die Vorgeschichte, wie sie sich ähnlich überall abwickeln und abspielen wird.

Bleibt also nur mehr eine Frage offen: Warum Tiefkühlanlagen?
Soferne sich die Antwort nicht schon aus diesem erfreulich umfangreichen Bericht ergibt, sei sie hier nochmals gegeben: Weil solche Anlagen für den modern denkenden und handelnden Bauern eine sehr wesentliche Erleichterung seiner Arbeit  durch den Wegfall vieler zeitraubender Tätigkeiten mit sich bringen (z.B. fällt das Einräuchern und manche andere Arbeit weg!) Dazu kommt der geringe Kostenpunkt und die hohe Rentabilität dieser Aufbewahrungsmethode, ganz abgesehen von ihrer Sauberkeit. Und es ist überall dasselbe: die Praxis beweist, wie richtig alle dieser Überlegungen sind.


Über die Kosten einer solchen Anlage berichten diverse Schulchroniken: 
Im Ort Kollersdorf wurde im Hause der Milchgenossenschaft für die Bewohner Kollersdorf und Sachsendorf eine Tiefkühlanlage geschaffen und mit Okt 1957 zur Benützung übergeben. Die Anschaffungskosten od. Herstellungskosten wurden von den einzelnen Truhenbesitzern bestritten.

Die Anschaffungskosten od. Gestehungskosten waren:
18 Kühltruhen    à 3.560 S 99.680 S
Baukosten  à    470 S 13.160 S
16 Kühltruhen zur Hälfte    
untergeteilt  à    400 S     6.400 S
Summe 119.240 S   

Winkl
Während des Winters wurde im Haus der Milchgenossenschaft (im ehem. 'Eiskeller'.) eine Tiefkühlanlage errichtet. Sie wurde am 16.4. in Betrieb genommen. Gesamtkosten ca 90.000,- S.

Engelmannsbrunn
Seit 11. Juli 1957 ist in Engelmannsbrunn eine gemeinschaftliche Tiefkühlanlage in Betrieb. Es wurde hiefür ein eigenes Haus gebaut, in dem Vorkühlraum und Truhen untergebracht sind. Benützt werden 16 große (ganze) und 44 kleine (halbe) Truhen. Die Truhen kosteten einhunderteinunddreißigtausend Schilling, Baukosten und Baugrund beliefen sich auf S 45.000,-. Obmann der Gemeinschaft wurde Herr Waltner Karl, Engelmannsbrunn 46. Mallon hatte schon vor Engelmannsbrunn eine Tiefkühlanlage. Hier konnte sie in einem Nebenraum des Milchhauses untergebracht werden. Seit 17. Dezember 1956 sind hier 44 halbe Truhen in Betreib. Die Baukosten betrugen für den Raum  dreitausend Schilling, während die Truhen sich auf S 58.000,- stellten. Die Kühlanlagen bedeuten für die Mitglieder beider Orte gerade in der warmen Jahreszeit einen nicht mehr wegzudenkenden Vorteil. 

Ich kann mich noch an diese Zeit der Kühlanlagen erinnern. Wenn mein Vater die Milch ins Milchkasino brachte, bekam er von der Mutter den Auftrag, dieses oder jenes Stück Fleisch aus der Kühltruhe gleich neben dem Milchkasino mitzunehmen. Zum Reinigen der Anlage waren die Benützer abwechselnd eingeteilt. So gingen meine Schwester und ich von Zeit zu Zeit mit unserer Mutter zur Kühlanlage, wo sie die Truhen abwischte und den Boden reinigte. 

Als dann der Wohlstand größer wurde und sich ein Haus nach dem anderen eine eigene Kühltruhe anschaffen konnte, wurden die Kühlanlagen nach und nach stillgelegt.  

März 2013, letzte Änderung April 2024
Maria Knapp