Maria Knapp, Winkl m.knapp@hf-kirchberg.at
Folgender Zeitungsartikel von Johann Czurba findet sich in der Pfarrchronik Kirchberg am Wagram bei den Eintragungen zum Jahr 1921. Es ist leider nicht ersichtlich, aus welcher Zeitung er stammt.


Das bescheidene, wenig bekannte Donaudörfchen Winkel, unweit der Pfarre Kirchberg am Wagram und Altenwörth, hat unstreitig große, historisch, wie topographisch hochinteressante Vergangenheit. Als Donauort mit Marktrecht und zugleich Sitz des weitbekannten Geschlechtes der Herren von Winkel hat sich die Ortschaft in ihrer Blütezeit vom 12. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts seinen Namen erobert.

Dort, wo heute in Winkel am Dorfende das ungemein trauliche und sehenswerte Kirchlein den stillen Daseinsfrieden der Donauauen genießt, auf dem kleinen Anger, wo heut um‘s Gotteshaus der Dorfkirchhof die verstorbenen Dorfbewohner aufnimmt, da soll einst die feste und geschützte Wasserburg der Winkler Herren gestanden sein. Lage und Bodengestaltung lassen diese unbewiesene Sentenz gewiß glaublich erscheinen und das Kirchlein in seiner seltenen, zweischiffigen Bauart kann ja vielleicht einst mit der Winkler Burgkapelle identisch gewesen sein.

Zum ersten Male tauchen die Herren von Winkel im 12. Jahrhundert urkundlich auf; und zwar datiert 1160 in der Ortsgeschichte von Theras eine Urkunde, in der Poppo und Chunegundis von Winkel den Brüdern zu Göttweig zwei Weingärten zu Draskirchen zum Nutzgenuß geben. Den beiden Erstgenannten folgten ihre Kinder Ortlieb und Hadmar von Winkel nach, während ihr Bruder Albrecht Pfarrherr zu St. Aytten (Hausleithen) war. Hadmar und Ortlieb treten 1288 als Zeugen beim Verkauf einer Liegenschaft zu Mühlfeld auf; ebenso ist Hadmar Zeuge mit seinem Siegel beim Besitzverkauf Friedrich‘s zu Eckerstein an die Strögner Kirche. Das oftmalige Auftreten der Winkler Herren in Urkunden bei Besitzverkäufen beweist ihr großes Ansehen unter den Notabeln der Zeit. Auch Hugo von Bergau hatte Hadmar zum Zeugen, als der sein Lehen zu Stetteldorf als Widerwechseler für den Kauf seines Verwandten Friedrich des Fuchs zu Stetteldorf bestimmt.

Die Macht der Herren von Winkel und ihr Besitz war ziemlich ausgebreitet. 1225 hatte Ortlieb von Winkel die Vogtei über Absdorf, Absberg und Kirchheim, doch scheint sein Vogteirecht den Absdorfern nicht sehr zugute gekommen zu sein, da wiederholt Beschwerden wegen arger Bedrückung eingebracht wurden. Nach Hadmar übernahm Weickhard von Winkel die Vogtei, 1348, regierte da aber nicht besser als sein Vater, infolgedessen wurde ihm nach vorausgegangener Warnung dieses Amt vom Landesherrn abgenommen.

Ferner hatten die Winkler Patronatsrecht über die Kirche zu Edelbach, das 1258 Ortlieb von Winkel dem Abte Konrad von Zwettl übergab, zugleich mit einem Privileg und Eigenschaft über Edelbach, nebst einem Haus. 1275 bestätigt nach vorhergegangenem Streit Ortlieb Gattin Elisabeth im Namen ihrer Kinder, Ortlieb, Hadmar und Adelheid dem Stifte die Güter zu Edelbach. Otto von Hippelsdorf und Leutoldus de Stockestall bezeugen dies. Einen schönen Besitz hatten die Herren von Winkel in der Feste Kollmitz bei Kollmitzgraben an der Thaya um 1293. Die Feste – heute Ruine – kauften später die Herren von Wallsee, die sie 1362 Katold Chrattzar von Ofen überließen. Um 1297 hatte die Winkler Burg ein Ulrich von Winkel inne, der beim Edelbacher eine Hofstatt erhielt, darin heißt es ausdrücklich über Ulrich, daß er: „ouf sizzet in dem Winchel“. Uebrigens kommt auch Ulrich in der Geschichte des Ortes „Heinreichs“ 1305 vor in einer Verschreibungsurkunde des Heinrich Prantner, der einer Zeugin eine Summe Geldes auswirft.

Sehr ausgedehnte Beziehungen hatten die Herren von Winkel mit dem Stifte Altenburg; so schenkt Burggraf Rapoto dem Stifte 1314 eine Gülte von 9 Schilling Pfennig Gelts zu Winchel. Ein weiterer Besitz war auch die Mühle zu Gukking (Gigging?) mit anderen Gütern, die 1316 Ortlieb von Winchel seiner Gattin Elspet verschreibt, nachdem er sie von Chunrad von Werd erkaufte. 1324 gehörte das Stammschloß Buchberg einem Ortlieb de Winchel. Dieses Geschlecht bestand bis 1340, die Landesfürsten schienen den Winklern gewogen, denn 1325 belehnte Herzog Albrecht IV. Frau Margareta von Winchel mit einem Haus zu Grünpach. Besondere Erwähnung verdient hier auch Herr Alber von Winchel, der Neffe Pfarrers Albrecht von St. Aytten (Hausleiten), der sich dem geistlichen Stande zuwandte und als Chorherr ins Hochstift Passau eintrat und 1330 als Zeuge einer Urkunde des Pfarrers Lorenz von St. Aytten ist. 1345 ist Chorherr Alber Zeuge eines Hausverkaufes zu Steinöckh zwischen Weichart von Winchel und Alber von Gars. Bald nachher wurde Alber Bischof von Passau und erscheint in dieser Würde bei der Schlichtung eines Zwistes zwischen dem Stifte Lilienfeld und der Pfarre Türnitz, die er auch schließlich glücklich beilegte.

Ein gar mächtiger Verwandter der Herren von Winkel saß im Kamptale auf der festen Burg Gars, Herr Albero, der bei seinen Handeln, Güterverkauf, bei Unterzeichnung von Urkunden stets die Winkler Herren zu Rate rief und in ihrem Beisein alle Geschäfte abschloß. 1330 herum besaß Burggraf Albero die Feste Steineckh, deren Hälfte er 1345 im Falle seines kinderlosen Todes dem Weichhart zuwendete. Leider wurde diese Schenkung zu Nichts, da in der Folgezeit von einem Töchterlein Herrn Alberos die Rede ist. Weichart, der Oheim Albero`s ist auch noch 1340 „gezeugt“, als Herr Albero dem Stifte Altenburg Güter gibt zu Ulrichsschlag und Matzles. 1332 schon fungierte Weichart von Winkel als Zeuge der Morgengabe an seine Braut, ein Zeichen für den traulichen Verkehr zwischen der Kampfeste Gars und der Donauburg Winkel. Weichart v. Winkel war auch der Oheim des Herrn Hans von Schönberg, wie eine Urkunde aus 1375 beweist, worin er als „Ochem“ bezeichnet wird.

Auch eine Frau von Winchel nahm den Nonnenschleier, Frau Güsch von Winchel, Priorin zu Mymspach, 1340 kaufte sie von Pilgrim Pfeffer aus Schyltarn zu Mittelberg eine Gülte. 1327 ist auch ein Herbert von Winchel Chomiteur in Wien.

Das Heil ihrer Seelen haben die Winkler nicht vergessen. So besaßen sie eine „Seelengeretstiftung“ in der Abtei St. Lambrecht zu Altenburg; ähnlich stifteten auch am Greorgitag 1317 die Brüder Ortlieb und Hadmar von Winchel eine Gülte für ihr Seelenheil zu Minnenpach, allda ihre Verwandte Frau Güsch Priorin war. Die Altenburger besaßen aber auch in Winkel ihre Gülten, denn in späterer Zeit 1409 erhält die Rornpacher Kirche von Altenburg als Entschädigung 20 Metzen Weitzen zu Winkel.

Nach der Mitte des 14. Jahrhunderts begannen die Winkler Herren allgemach abzuwirtschaften. Bald verlieren sie dieses Leben bald jenes Recht und seine Eigenschaft, wie Urkunden aus jener Zeit sagen. So mussten 1356 die drei Brüder Ortlieb, Hadmar und Weichart die Feste Buchberg Herzog Albrecht überstellen, die ihnen zum halben Lehen gegeben war. 1357 verkauften die drei Brüder die Feste „Stainekke“ mit dem halben Dorf Wanzenau, das sie besessen, nebst einer Gülte zuFuklau und Apfelgschwendt ihrem Vetter um 725 Pfund als freies Eigen mit Urbar, Holz, Herrschaft, Vogtei, Gericht, Zehent, Wild und Fischwasser. Das Dorfgericht zu Ulreichsschlag veräußerten 1361 Ortlieb v. Winkel und Elspet dem Koloman Plesberger, 1361 verkauften beide wieder Gülten zu „Snitta“, Rädel“ und „Sulz“. 1366 bietet Heinrich von Winkel eine Gülte zu Lindach frei.

Ein gar prächtiger Besitz der Herren von Winkel waren die Festen Kollmitz und Ludweis, nebst dem Lehen zu Jerus, und die Pfarrkirche zu Japons war ihnen durch ein Lehen pflichtig; doch 1353 mussten Weickhart von Winkel und seine Söhne Friedrich Ortlieb und Weichart einen Revers ausstellen, daß sie keinerlei Lehensrecht über die Kapelle bei ihrer Feste Ludweis ausüben wollen. Ein besonders interessantes Bild bietet eine Verkaufsurkunde aus 1362, wo die Winkler Herren infolge Geldleihgeschäfte mit einem Juden die Festen Kolmitz und Ludweis verkaufen müssen und zwar Friedrich Ortlieb, Weichart und Elisabeth von Winkel, nebst Heinrich und Eberhart geben die Festen dem Ritter Katold Chrattzer von Ofen um 2250 Pfund Wiener Pfennig, die sie dem Juden schulden. Bischof und Dompropst Alber von Winkel mag blutenden Herzens diesen Verkauf als Siegler unterzeichnet haben.

So kamen denn die Winkler Herren nach und nach um Hab und Gut und nur ihre Donaufeste blieb ihnen noch. Eigenartig mutet eine Urkunde aus 1373 betreffs der Teilung der Feste Gars an, wo sich Ortolf von Winkel nur mehr als „Winkel an der Donau“ unterzeichnet.

Ja, es war die schwere Zeit für den Ritterstand, der infolge größter finanzieller Not und Schwierigkeit oft den ehrlichen Krieg mit Straßenraub vertauschte, jedoch zu solcher Tiefe stiegen die Winkler Ritter nie herab, keine Urkunde, keine Schrift, verlautet wenigstens darüber.

Stille wurde es da nach und nach in der Winkler Burg und sinnend mögen die letzten Winkler am heimatlichen Burgkamin über das Sinken ihres Besitztums nachgedacht haben. Weniger werden da die einst so zahlreichen Freunde geworden sein, selten sind sie mehr als Zeugen und Siegler. Selten mag sich auch mehr ein Sänger in die Winkler Burg verirrt haben, wie einst, da Neidhart von Reuental und seine Genossen vor Oesterreichs Burgen und Schlösser die Minne sangen. Da mag auch der Sachsendorfer Ulrich manchmal in Winkel beigekehrt haben, so um 1249 herum, noch vor Neidhart und so der Mistral des Herrn Poppo und seiner Frau Chunegundis gewesen sein. Doch diese Zeiten waren entschwunden und um Winkel spann die Zeit ihren Dornröschentraum und als das 16.Jahrhundert begann, starb auch der letzte Winkler dahin. Die Burg fiel in Trümmer, sei es durch die Wässer der Donau oder durch Feindeshand, wer weiß? Auch der mit dem Marktrecht versehene Ort verfiel immer mehr und mehr, wie so mancher andere Donauort, man denke nur an die „Civitas Trebensee“ nicht allzuweit von Winkel. Den letzten Besitz der Winkler Herren übernahmen die Hardegger Grafen.

Heute ist Winkl ein schlichtes Donaudörfchen, das den Traum der Vergessenheit seit langem träumt, doch versäume niemand, der in die Nähe kommt, das idyllische Kirchlein am Ortsende zu besuchen. Der niedliche zweischiffige Bau mit hübschem Barockaltar und hochinteressanten gothischen Statuen. Die ganze Bauart des Gotteshauses ist sehenswert und erinnert den Besucher an die einstige Burg, die dort gestanden sein soll.

Das traute Kirchlein mit der friedlichen Schlummerstätte der verstorbenen Winkler Dorfbewohner raunt dem Besucher ein Lied ins Ohr, ein Lied von Vergänglichkeit und Frieden ...

März 2012
Erika Schwarz